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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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»Hör mir zu, Ali. Sie haben sich geliebt, seit sie Kinder waren. Das Mädchen brachte keinen Bissen hinunter, wenn es Memed nicht sehen durfte, sie konnte nicht schlafen, weinte blutige Tränen. Diese zwei hat Allah zusammengeführt, verstehst du das, Ali? Allah! Als er nach Kesme gelaufen war, hat das Mädchen krank gelegen, bis er zurückkam. So ist das, Ali, denke einmal selber darüber nach. Und dann haben sie sie mit Gewalt an den glatzköpfigen Neffen von Abdi verkuppelt. Darauf sind die beiden geflohen. Ja, Bruder Ali, du mußt mal selbst darüber nachdenken. Ein verängstigter Vogel flüchtet sich ins Gebüsch. Dort ist er geborgen. Für Memed kannst du die Zuflucht sein. Werde nicht zur Ursache seines Verderbens! Dann wirst du vielleicht Abdi zum Freund haben, aber ein großes Dorf zum Feind. Und das ist keine Kleinigkeit, Ali, du weißt es selbst. Das war es, was ich dir sagen wollte.«
Ali erhob sich wortlos, mit hängenden Schultern und kummervoller Miene.
»Denk daran, daß du ein ganzes Dorf zum Feind haben wirst«, sagte Hösük hinter ihm. Dann holte ihn der Alte wieder ein, flüsterte ihm ins Ohr: »Hast du noch nie gehört, wie es dem ergeht, der Liebende auseinanderbringt? Wer ein Nest zerstört, dessen eigenes Nest wird zerstört werden, Ali! Für das ganze Dorf war es ein Festtag, als es hieß, daß die beiden zusammengekommen seien. Ali, du wirst verrotten wie ein zugrundegehender Baum! Und denk daran, was aus seiner Mutter wird. Sie liegt immer noch blutend im Schmutz. Überlege es dir gut, Ali!«
Jetzt war das Pferd gesattelt, Ali wurde gerufen. Ein junger Bursche hielt die Zügel und erwartete ihn respektvoll. Eine schwarze, langhaarige Satteldecke hing dem Pferd über den Rücken.
Der Regen dauerte unverändert an. Alle Dorfbewohner waren auf den Beinen, alle Blicke waren auf Ali den Hinkenden gerichtet. Als er die Last von Hunderten von Augenpaaren auf sich fühlte, kroch der unerträgliche Schmerz wieder in sein lahmes Bein. Seit seiner frühesten Jugend suchte ihn dieser Schmerz heim, immer dann, wenn er sich in einer schwierigen Lage sah. Es war, als bekäme er die stummen Verwünschungen eines ganzen Dorfes, der Menschen und Tiere, der Erde und der Steine an seinem Körper zu spüren.
Unter dem Maulbeerbaum vor Hatçes Haus fand er zwei nebeneinander verlaufende Spuren. Zunächst umritt er das Haus vier-, fünfmal. Alle Dorfkinder waren hinter ihm. Dann streifte er, scheinbar ziellos, eine ganze Weile im Dorf umher. Ein paar Männer standen neben Hösük. »Was hast du Ali dem Hinkenden gesagt?«
»Gründlich Bescheid gesagt habe ich ihm«, erwiderte der Alte voller Selbstbewußtsein. »Ich denke nicht, daß er das in den Wind schlagen wird.«
Mit Genugtuung hatte er beobachtet, daß Ali wie aufs Geratewohl im Dorf hin und her ritt. So verfolgte man keine Fährte. Man blieb vom ersten Anfang an auf einer Spur, bis man ihr Ziel erreicht hatte. Es war wie das Aufziehen eines Wollstrumpfs. Was Ali der Hinkende da machte, schien ein gutes Zeichen.
Und schon ging Hösüks Meinung von Mund zu Mund: »Er hat Mitleid mit den Liebenden. Er wird die Verfolger in die Irre führen.«
»Ali kenne ich«, sagte ein anderer. »Er würde auch die Spur seines eigenen Vaters verfolgen, selbst wenn es dem ans Leben ginge. Wenn er nur einer Fährte nachgehen kann. Ohne das kann er nicht leben. Er ist kein schlechter Mensch, und ich glaube, daß ihm die beiden wirklich leid tun, aber er kann eben nicht anders, er muß ihre Spur verfolgen. Setze ihn auf eine Fährte, und er geht ihr nach, und wenn er weiß, daß es für ihn den Tod bedeutet.«
»Nun gut«, sagte Hösük. »Aber warum reitet er dann im Dorf umher? Nehmen wir einmal an, er will der Fährte nachgehen. ja, glaubt ihr, Memed ist mit dem Mädchen erst von Haus zu Haus gegangen? Wer ein Mädchen entführt, schaut nicht einen Augenblick zurück. Ali der Hinkende würde sich nicht täuschen lassen, wenn er Ernst machen wollte. Schon gar nicht in diesem Regen, der macht es noch leichter ... Aber ich habe ihm noch mal ins Gewissen geredet ... «
»Allah gebe, daß es so ist, wie du sagst«, seufzte der andere nach einigem Nachdenken. »Wenn man ihn so hin und her reiten sieht ... Vielleicht hat er es sich wirklich überlegt!«
Hin und her ritt Ali der Hinkende. Vor jeder Tür saß er ab, untersuchte den Boden, nahm prüfend Steine in die Hand. Er tat alles, was dazugehört, eine Spur zu sichern. Nur von der Stelle, wo die wirkliche Fährte

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