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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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ihren Ausgang nahm, hielt er sich sorgsam fern. Wenn sie ihm wieder unter die Augen käme, dann würde sie ihn nicht mehr loslassen, das wußte er zu gut. Für Sekunden wünschte er sich, dem Pferd die Sporen geben und im vollen Galopp fliehen zu können. Er blickte zum Wald hinauf. Dorthin führte die Spur, und es war ihm, als sähe er die beiden leibhaftig vor sich. In seinem Kopf ging alles durcheinander. Der Regen rann noch immer, als er das Pferd wieder auf Hatçes Haus zu wendete. An dem Buschwerk neben dem Maulbeerbaum hielt er an. Hier lag die lange Spur eines Bauernschuhes. Die Bauernschuhe mußten noch neu sein, mit langen Flaumhaaren - von der Haut eines Stierkalbs, das im letzten Winter geschlachtet worden war. Wieder sah er die Liebenden vor sich dort im Wald, im Regen, und er empfand brennende Sorge um sie.
Eine Stimme riß ihn aus seinen Gedanken: »Was ist los mit dir, Ali? Willst du hier stehenbleiben und träumen? Abdi Aga wird schon langsam ungeduldig. 'Was trödelt er so lange im Dorf herum?' hat er gesagt, und: 'Soll das die Spurensucherei von eurem vielgepriesenen Ali sein?'«
Als die beiden noch miteinander sprachen, preschte Abdi Aga selbst herbei.
»Donnerwetter, Oberster der Spurensucher! Alle Achtung! Eine feine Fährte hast du da ausfindig gemacht! Seit dem Morgen bummelst du durch das Dorf wie ein Landvermesser. jetzt wirst du wohl gleich in dem Gebüsch hier einschlafen.« Ali der Hinkende wurde schwarz vor Augen. Zornig wandte er sich zu Abdi Aga um: »Aga, fragt doch mal die Bauern, ob er neue Bauernschuhe angehabt hat und ob sie von der Haut eines Bullenkalbs aus dem letzten Winter waren.«
»Das stimmt genau«, warf einer der Bauern ein. »Im Winter ist Ismail, dem Müller, ein Stierkalb eingegangen. Memed hat ein Stück von der Haut gekauft.«
»Soweit hast du recht behalten«, sagte Abdi Aga. »Also zeige, was du kannst, Ali.«
Ali der Hinkende war ganz in sich zusammengekrochen. Er gab seinem Pferd die Peitsche und galoppierte aus dem Dorf, Abdi Aga und sieben, acht andere Reiter hinter ihm drein. Bei den Felsen brachte Ali sein Pferd zum Stehen. Die Spur führte hierhin. Er war überrascht - die Richtung hatte zum Wald gewiesen - und untersuchte die längs der Felsen verlaufenden, kaum sichtbaren Spuren.
»Hier sind sie gegangen. Steigt ab, wir wollen die Fährte zu Fuß weiterverfolgen.«
Sie ließen die Pferde bei einem der Männer zurück und gingen Ali nach. Zwischen den Felsen sahen sie ein kleines Stück glänzender, schwarzer Erde mit drei gelben Blumen darauf.
Eine der Blumen lag fast am Boden.
Ali deutete auf die Erde: »Wißt ihr auch, warum diese so flach daliegt und die anderen aufrecht stehen? Hier könnt ihr die Spuren vom Rand eines Bauernschuhs sehen, der heute nacht hier hingetreten ist.«
Alle bückten sich, aber keiner sah etwas. Dann strich er zwischen den Felsen herum, Abdi Aga immer hinter ihm. Am Fuß eines steilen Felsens stutzte er: »Hier sind sie umgekehrt.« Sie gingen zu ihren Pferden zurück. jetzt führten die Spuren so deutlich zum Wald hin, daß auch die anderen sie verfolgen konnten. Am Waldrand hielt Ali an. Er war aschfahl geworden; dann überlief es sein Gesicht purpurrot. Die Fährte hatte wiederum die Richtung gewechselt, sie verlief jetzt erneut zu den Felsen hin. Die Marschroute eines Blinden, eines in die Irre Geratenen, der nicht weiß, wohin ... Die Spur folgte eine kurze Strecke der gleichen Richtung, dann kehrte sie wieder um, lief im Zickzack. In Ali regte sich das Mitleid. Diesen Abdi in den tiefsten Wald hineinzuführen, ging es ihm durch den Kopf, dann konnten sich die armen Kinder in Sicherheit bringen ...
Zwischen dem Wurzelwerk eines Baumes war das frische Kraut halb niedergetreten. Dahinter steckte ein Holzsplitter in der Erde. Der Regen nahm an Heftigkeit zu. Der lahme Ali zog sich die Satteldecke über den Rücken.
Die Zeit vergeht, Ali«, sagte Abdi Aga. »Hast du die Spur wieder verloren?«
Nein Folgt mir nur.« Er wandte sein Pferd zum Wald. Aber jetzt fand er
die Fährte wirklich nicht wieder.
»Sie führt nicht mehr weiter«, wandte er sich zu Abdi um. »So? Das ist wohl alles, was du kannst, was?«
Hinter Abdi ritt der Bräutigam, die Pistole in der Hand.
»Ich werde sie gleich wiederhaben«, sagte Ali verbissen. »Sie müssen hier in der Nähe Schutz gesucht haben. Eine ganze Weile sind sie im Kreis gelaufen. Dadurch bin ich irre geworden.«
Er mußte einige Zeit suchen, bis er wieder auf der Fährte war. Im dichten

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