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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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gab drei Schüsse ab. Auch dieser rührte sich nicht mehr. Memed steckte die Pistole wieder ein.
Er war ganz ruhig, als er sich an die anderen wandte: »Hier ist Hatçe. Wenn einer von euch sie anrührt, wißt ihr, was euch geschieht.«
Dann drehte er sich zu Hatçe um. »Geh du jetzt erst einmal nach Hause. Ich hole dich, sobald ich kann. Dann gehen wir irgendwohin, wo uns keiner findet. Geh nur! Die da können dir nichts tun.«
Sie begannen auf ihn zu schießen. Er wunderte sich darüber, aber er war schon zu weit entfernt; ihre Kugeln gingen ziellos ins Dunkel. Gegen Mitternacht verließ er den Wald.
Immer noch rann der Regen.

10
    Leise und zaghaft klopfte es an der Tür. Das Klopfen setzte aus, begann dann wieder.
Die Frau weckte ihren Mann. »Steh auf Es klopft jemand.«
Verschlafen machte er einige Anstrengungen, sich zu erheben, aber schließlich fiel sein Kopf auf das Kissen zurück. Das Klopfen wurde heftiger.
»Los jetzt!« rief sie. »Du sollst aufstehen, es klopft einer bei uns an!«
Brummend rappelte er sich hoch, stolperte zur Tür. »Wer ist denn da?«
»Ich, ich bin's«, antwortete eine heisere Stimme. Sie räusperte sich.
»Wer bist du?«
»Schnell, mach auf! Du kennst mich.« Die Tür öffnete sich.
»Na, dann komm herein.«
Der Fremde taumelte herein. Drinnen war es dunkel. »Mach schnell Licht, Weib, wir haben einen Gast.«
Als die Lampe brannte, kam die Frau zu ihnen. Der Fremde troff vom Regen, die Kleider klebten ihm am Leibe. Das Paar betrachtete ihn erstaunt, über das Gesicht der Frau ging es wie eine ratlose Frage. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Mir ist, als müßte ich den Gast kennen«, sagte sie schließlich. »Aber ich weiß nicht, warum.«
Der Mann lächelte. »Auch mir geht es genauso.«
Er legte dem Fremden die Hand auf die Schulter, blickte ihm forschend ins Gesicht. »Es ist irgendwas Vertrautes an ihm, aber ich weiß nicht was. Aber eins sehe ich sicher, nämlich, daß dem Gast kalt ist. Er ist triefnaß. Mach schnell Feuer, Frau.«
»Also sag schon, wer bist du?«
»Onkel! Der Ince Memed bin ich.«
Die Frau trug Brennholz aus dem Nebenraum herbei.
»Weib! Schau doch mal, wer da gekommen ist! Unser Ince Memed ist es! Ein Teufelskerl ist er geworden, ein junger Stier. Wie oft haben wir dagesessen und von ihm gesprochen. Gerade in diesen Tagen habe ich noch gesagt: 'Was mag aus dem Jungen geworden sein?' Ich muß es im Gefühl gehabt haben.«
»Wirklich, Junge! Die ganzen letzten Tage hat Onkel Süleyman nur von dir gesprochen.«
Süleyman war sehr gealtert. Seine Brauen fielen ihm in langen, weißen Büscheln über die Augen. Das und der lange, schneeweiße Bart gaben ihm das Aussehen eines ehrwürdigen Greises.
Die Frau brachte Wäsche, legte sie Memed hin. »Zieh dich um, mein Sohn, sonst gibt es eine Lungenentzündung.«
Memed ging in eine dunkle Ecke, dann setzte er sich in Hemd und Unterhose an die Feuerstelle. Süleyman sah ihn fragend an.
»Wie gerne hätte ich euch einmal wiedergesehen. Aber ihr wißt ja, das Leben auf dem Dorf ... «
»Ich wette, du warst immer noch nicht in diesem Dorf, was, Memed?« fragte Süleyman neckend.
Memed lachte bitter. »Daraus ist nichts geworden.«
Aber dabei blitzte das gelbe Licht durch sein inneres Dunkel. »Du wirst mir die Frage nicht übelnehmen, aber was führt dich um diese Nachtzeit hierher?«
»Ich erzähle dir alles. Ich bin zu dir gekommen, weil du der einzige bist, den ich auf der Welt kenne. Der einzige, der mir helfen kann.«
»Du frierst, Kind«, unterbrach ihn die Frau. »Warte, ich mache dir eine warme Suppe.«
Als er die heiße Schüssel in die Hand nahm, mußte er an die lange zurückliegende Nacht denken, in der er schon einmal frierend an diesem Herd gesessen hatte.
Damals war er einsam und verängstigt gewesen. Er erinnerte sich, wie er sich vor dem dunklen Wald gefürchtet hatte. Jetzt war er kühn. Er hatte seinen Entschluß gefaßt, die enge Welt von gestern gesprengt. Er hatte begonnen, die Luft der Freiheit zu atmen, und er bereute nichts von dem, was er getan hatte.
»Sprecht euch in Ruhe aus, ihr beiden«, sagte die Frau. »Ich lege mich schlafen.«
Als sie allein waren, drängte Süleyman: »So, jetzt mal heraus mit der Sprache, Memed, mein Junge!«
»Ich habe Abdi getötet. Und seinen Neffen auch ... «
»Wann war das?« unterbrach Süleyman erregt.
»Heute. Bei Einbruch der Nacht.«
»Ist das wirklich wahr, Memed? Wer einen Menschen umgebracht hat, der sieht anders aus als du jetzt.«
»Ja, es ist

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