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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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diesem Revier. Das möchte ich denn doch sehen, wer sich ins Revier des tollen Durdu wagt!«
»Warten wir ab.«
Durdu fand es an der Zeit, das Gesprächsthema zu wechseln. »Sag, Memed, hat deine Hand nicht gezittert, als du auf Abdi Aga geschossen hast?«
»Nicht im geringsten.«
»Wohin hast du gezielt?«
»Auf die Brust. Genau auf die Stelle, wo das Herz ist ... «
Plötzlich war ihm, als sei alles um ihn herum verschwunden und nur er allein übriggeblieben. Ob es daran lag, daß ihm dieser Durdu nicht recht gefiel? Er blickte in das ausgehende Feuer. Die Gesichter der mit ihren Waffen beschäftigten Männer tauchten ins Dunkel zurück. Die Schatten auf dem Felsen nahmen Riesengestalt an, bevor sie ganz verschwanden. Süleymans Gesicht, umflackert vom Feuerschein, hatte einen heiteren Ausdruck. Als Memed daran dachte, welch große Stücke der Alte auf ihn hielt, wich das fremde, unbehagliche Gefühl allmählich von ihm. Dann überfiel ihn die Müdigkeit, er rollte sich auf dem Fleck zusammen.
»Ich will mich auch hier hinpacken, Burschen«, sagte Süleyman. »Unser junger Held schläft schon.«
»Warte, ich geb dir einen Militärmantel zum Zudecken!« rief Durdu.
Süleyman breitete die Hälfte des Mantels über Memed und streckte sich neben ihm aus.
Auch die anderen legten sich jetzt schlafen bis auf einen, der oben auf dem Felsen Wache hielt.
Memed erwachte frierend und mit steifen Gliedern. Es sah noch nicht so aus, als ob der Tagesanbruch nahe wäre. Es war stockdunkel, aber er konnte seine neuen Kameraden in einer Reihe neben dem Feuer liegen sehen und hörte ihr Schnarchen. Er schaute sich nach dem Wachtposten um, aber er fand keinen. Die Schnarchtöne füllten den ganzen Umkreis. Man sagt, wer keine Ruhe im Innern hat, der schnarcht, und das ist vielleicht richtig. Memed empfand seit Tagen zum ersten Mal wieder Furcht. Zwei Mann würden genügen, um dieser schnarchenden Räuberbande den Garaus zu machen. Dann konnten sie zufrieden abziehen und ihre Schnurrbärte zwirbeln ...
Er lud sein Gewehr und zog auf den Ausguckposten.
Durdu wurde als erster wach. »Posten!« rief er, sich die Augen reibend.
»Zu Befehl, Aga! Nichts zu sehen, alles in Ordnung!« meldete Memed.
»Du bist es, Ince Memed? Aber du bist ja eben erst angekommen. Laß dir Zeit! Wirst noch oft genug Wache halten.«
»Ich konnte ohnehin nicht schlafen. Da habe ich eben den Kameraden abgelöst ... «
»Ja, das ist immer so«, sagte Durdu. »Jeder, der neu in die Berge kommt, kann die ersten paar Nächte nicht schlafen. Er fühlt sich irgendwie fremd und hilflos, als sei er ganz allein auf der Welt.«
»Hör nur unseren Tollen, hör ihn nur!« brummte Süleyman verschlafen. »Was er nicht alles weiß.«
»Onkel Süleyman, was ich auch sage, immer hast du etwas daran auszusetzen. Du glaubst wohl, ich könnte nicht bis drei zählen.« Durdu war gekränkt.
Es wurde langsam hell. Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber ihre Strahlen lagen schon auf dem gegenüberliegenden Gipfel, während es um die Hänge noch dunkel war. Dann verbreitete sich das Licht langsam weiter nach unten, bis die Sonne hinter der Bergkette erschien.
»Lebt wohl!« sagte Süleyman. Er küßte Memed auf die Stirn und ging. Durdu lief hinter ihm her. »Trink erst noch eine Schale Tee mit uns, Onkel Süleyman!«
»Danke, mein Junge. Aber ich muß weg. «
Durdu ergriff seinen Arm. »Ohne noch einen Tee mit uns zu trinken, gehst du nicht davon! Einmal in tausend Jahren kommst du hierher auf meinen Berg, und da soll ich dich so fortlassen! Nein, das gibt es nicht.«
»Gegen einen Tollen kann man halt nicht an«, murmelte Süleyman in sich hinein. »Also kehren wir um.«
»Macht ein anständiges Feuer!« befahl Durdu.
»Jetzt wird man den Rauch sehen«, meinte Süleyman.
»Warum nicht? Wie soll ich zurechtkommen, ohne Feuer anzuzünden? Lehre mich das!«
»Ich kann dich gar nichts lehren, mein Sohn. Das mußt du selber wissen.«
Durdu der Tolle wurde nachdenklich, schüttelte ein-, zweimal den Kopf. Schwarze Locken fielen ihm unter dem roten Fes in die Stirn.
»Du mußt endlich die armen Leute in Ruhe lassen«, fuhr Süleyman fort, »mit den Schlechten kannst du alles tun, was du willst. Aber verlaß dich nicht zu sehr auf deine Tollkühnheit. Brauche auch deinen Kopf! Sonst wirst du's nicht überleben. Die Berge hier sind wie ein eiserner Käfig.«
Der Tee kochte. Wieder reichten sie Süleyman zuerst seine Schale, aus der das heiße Getränk in der Morgenfrische dampfte. Der Alte

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