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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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seine Kleider von sich. »Ihr tötet mich nicht?« fragte er dankbar.
Im Nu drückte er Durdu das Bündel mit allem, was er auf dem Leibe getragen hatte, in die Hand.
»Hier, nimm!"
Die anderen taten es ihm nach, ohne ein Wort, bis sie in ihren Unterhosen dastanden.
»Würden die Agas so freundlich sein, sich auch der Unterhosen zu entledigen? Das ist bei mir nämlich die Hauptsache.«
Schweigend gehorchten sie, hielten ihre Hände vor sich und zogen ihres Wegs.
Mit den Pferden, den Kleidern und der übrigen Beute wandten sie sich wieder den Bergen zu.
»Du hast uns Glück gebracht, Memed«, sagte Durdu. »Alles glatt abgelaufen. Und eintausendfünfhundert Lira noch obendrein. Und die schönen Pferde! Die Kleider von dem Jungen werden dir besonders gut stehen. Sie sind noch nagelneu. Ach, wie er geflennt hat, das Milchgesicht! Hatte Angst um sein kostbares Leben ... "
Als sie an ihrem Felsen von den Pferden gestiegen waren, gab Durdu keine Ruhe, bis Memed die erbeuteten Kleider angezogen hatte. Dann musterte er ihn beifällig: »Alle Achtung! Wie dich das Zeug von dem kleinen Hundesohn kleidet! Wie ein Schüler schaust du aus ... «
Aber Memed fühlte sich in den fremden Sachen nicht wohl, er kam sich erniedrigt vor. Seit sie von der Straße fort waren, brannte eine Frage in ihm, die er nicht auszusprechen gewagt hatte. Jetzt konnte er sie nicht mehr zurückhalten.
»Wir nehmen den Leuten alles weg. Gut. Aber warum auch ihre Unterhosen? Das verstehe ich nicht.«
Jetzt war ihm leichter, einen Augenblick vergaß er sogar die fremden Kleider auf seinem Körper.
Durdu lachte: »Unser Ruf soll sich im ganzen Land verbreiten, deshalb machen wir das so! Keine Bande tut das, nur der tolle Durdu. Alle sollen wissen, wer die Leute ausgeraubt hat ... «

11
    Auf den Regen war feuchte, klebrige Hitze gefolgt. In Abdi Agas Hof legten sie Velis blut- und schmutzbedeckten, von grün glitzernden Fliegen wimmelnden Leichnam auf eine Pferdedecke.Abdi Aga war eine Kugel durch die linke Schulter bis unter das Schulterblatt gedrungen, wo sie noch steckte. Die zweite hatte sein linkes Bein durchlöchert, ohne den Knochen zu berühren. Noch im Wald hatte der Dorfarzt die Wunden versorgt, der Aga hatte fast kein Blut verloren. Aber das Geschoß unter seinem Schulterknochen machte ihm zu schaffen. Es schien auch die Lunge in Mitleidenschaft zu ziehen.
Seine beiden jungen Söhne, die Verwandten, Dienstboten und Tagelöhner umstanden sein Bett und warteten darauf, daß er die Sprache wiederfinden würde. Bis jetzt hatte er nur leises Wimmern und Stöhnen von sich gegeben. Seine Ehefrauen saßen am Kopfende und weinten still in sich hinein.
Plötzlich schlug er die Augen auf »Was ist mit Veli?«
Nur das lauter werdende Schluchzen der Frauen antwortete ihm.
»Also ist er ... «
»Möge Allah dich bewahren, Abdi Aga«, sagte einer aus dem Dorf.
Abdis Augen blitzten auf »Und dieser Verfluchte?«
»Ist uns entkommen.« Sie flüsterten es fast, mit hängenden Köpfen.
»Und das Mädchen, diese Hure?«
»Die haben wir hergebracht.«
Abdi schloß wieder die Augen, legte wimmernd den Kopf in die Kissen zurück.
»Ihr habt das Mädchen nicht geschlagen, nein?«
»Nicht angerührt haben wir sie.«
»Gut so. Sie hat keinen Kratzer abbekommen?«
»Keinen einzigen.«
»Gut.«
Jeder wußte es: Wenn Abdi Aga einen, der sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, nicht mißhandelte, dann hatte er etwas viel Schlimmeres mit ihm vor. Der Unglückliche mußte sein Leben lang büßen. Wen Abdi Aga aber prügelte, dem blieb viel erspart. Bauern, die ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen hatten, kamen und setzten sich so lange ihm gegenüber, bis sie ihre Tracht Prügel erhielten.
Plötzlich überlief ein freudiger Ausdruck das bleiche, eingefallene Gesicht. »Sind alle hier, die mit mir im Wald waren?«
»Ali der Hinkende und Rüstem nicht«, kam die Antwort.
»Geht und holt sie mir sofort her!« befahl Abdi energisch. Bald darauf hallte der Hof von Klagegeschrei wider. Velis Eltern und die Leute aus seinem Dorf waren gekommen. Die Mutter warf sich über den Toten und küßte ihn. Der Vater saß wie versteinert da, eine Hand an der Schläfe, als sei alles Blut aus ihm gewichen. Mit Mühe gelang es den anderen, die Mutter wegzuführen. Auch der Vater erhob sich, schwer und langsam. Er war schlank und hochgewachsen, mit sehr schmalem Gesicht und hoher Stirn. Er trug eine kragenlose, bestickte Weste und eine Pluderhose aus gestreiftem Baumwollstoff. Seine Füße

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