Memed mein Falke
war sich noch nicht darüber klar, ob der Befehl wirklich ernst gemeint sei, und nahm seine Zuflucht zu dem unterwürfig-schmeichelnden Ausdruck eines Hundes.
»Wird's bald?«
Der Mann lächelte hartnäckig weiter. Durdu trat ihn heftig ans Schienbein. Der Mißhandelte stieß einen Schmerzensschrei aus.
»Ausziehen, habe ich gesagt! Los jetzt!«
Das Opfer verlegte sich aufs Flehen. »Pascha Efendi, die Füße will ich dir küssen ... Ich habe doch nichts anzuziehen ... soll ich splitternackt umherlaufen?«
Er steckte seinen Zeigefinger in den Mund, saugte daran und hielt ihn hoch. »So nackt wie ein neugeborenes Kind! Du bist ein großer Herr, ein Pascha, ein Efendi, bitte laß mir meine Kleider!«
»Verdammter Hundesohn, willst du jetzt das Zeug ausziehen? Wart nur, ich gebe dir gleich den 'Pascha Efendi'!«
Der arme Teufel winselte in seiner Not. »Fünf Monate habe ich mich in der Çukurova abgeplagt, in der Fremde ... «
»Also hast du Geld!« schnitt Durdu ihm das Wort ab.
»Fünf Monate beinahe krepiert, von den Çukurova-Fliegen aufgefressen ... «
»Geld hast du bei dir, elender Hundskerl!«
»Nur ganz wenig! Auf den Reisfeldern habe ich geschuftet, im Schlamm. In meinem Alter! Ich bin fast draufgegangen, jetzt will ich heim. Hab Erbarmen, Efendi - laß mich nicht splitternackt vor die Meinen treten ... «
Durdu raste: »Gerade das sollst du - runter mit dem Zeug, sonst ... «
Der Mann wand sich in Verzweiflung. Durdu zog seinen Dolch. Die Klinge blitzte in der Sonne, als sie sich ihrem Opfer näherte.
Der Mann sprang vor Entsetzen ein Stück vom Boden hoch. »Gnade! Laß mich Weib und Kind wiedersehen, ich ziehe ja alles aus!«
Die im Versteck krümmten sich vor Lachen. Nur Memed war angewidert. Abscheu vor Durdu stieg in ihm hoch. In seinen Augen glomm der wilde Funke.
In panischer Angst, mit flatternden Händen riß sich der Mann Jacke und Pluderhose vom Leibe.
»Nun also! Was stellst du dich erst so an, Mensch? Hemd und Unterhosen auch. Schnell, schnell!«
Wieder näherte sich der Dolch.
»Nicht töten, Pascha! Ich will ja alles tun, was du sagst.«
Als er auch das Hemd auf den Kleiderhaufen gelegt hatte, blickte er Durdu flehend an, den Kopf gesenkt.
»Du brauchst mich nicht so anzuschauen. Es hilft dir nichts. Los, los!«
Es dauerte ziemlich lange, bis der Zitternde sich mit ungeschickten Händen seines letzten Kleidungsstücks entledigt hatte. Mit den Händen seine Blöße verbergend, lief er auf den am Wegrand grasenden Esel zu, faßte ihn mit der Linken an der Halfter und zog ihn mit sich fort. An seinen stockdünnen, haarigen Beinen standen die Muskeln hart wie Knochen hervor. Sein eingefallener Leib war gerunzelt wie ungegerbtes Schafleder. Er war verwachsen und hatte eingesunkene Schultern. Der armselige, schmutzige Körper war mit Ungezieferbissen übersät.
Als Memed ihn so vor sich sah, wuchs die Bitterkeit in ihm ins Grenzenlose.
In diesem Augenblick lief der Ausguckposten den anderen entgegen: »Sie kommen!«
»Ah, unsere Reiter!« sagte Durdu.
Die im Versteck lachten hinter dem Mann her, der, immer noch die Hand schützend vor sich haltend, ganz langsam weiterging. Im Gehen blickte er sich immer wieder furchtsam und sehnsüchtig nach seinen Kleidern um.
»Komm her, du!« rief ihm Durdu zu. »Hol dir dein Zeug. Es kommt bessere Beute. Du hast noch einmal Glück gehabt ... «
Der Alte schnellte mit einer Behendigkeit heran, die niemand der ausgemergelten, armseligen Gestalt zugetraut hätte. Blitzschnell raffte er seine Lumpen zusammen und rannte fort.
Memeds Gesicht war dunkel vor Wut. Er mußte sich Gewalt antun, Durdu nicht über den Haufen zu schießen. »Hände hoch!« schrie Durdu, diesmal noch lauter. Alle fünf Reiter brachten ihre Pferde zum Stehen. »Wenn ihr euch nur von der Stelle rührt, wird geschossen!« Den in Deckung Liegenden rief er zu: »Ich gehe hin. Ihr feuert von allen Seiten los, wenn sich das Geringste regt!«
Dann schlenderte er gleichmütig den Reitern entgegen.
»Absteigen!«
Lautlos folgten sie dem Befehl. Die Männer waren alle gut gekleidet, zwei davon nach der Art der Städter. Ihre Pferde hatten silberbeschlagenes Zaumzeug. Einer der Reiter war noch im Knabenalter, vielleicht siebzehn.
»Noch drei Mann hierher!«
Der Junge begann laut loszuheulen: »Tötet mich nicht! Nehmt euch, was ihr haben wollt, aber laßt mich leben!«
»Nur ruhig, mein kleiner Löwe. Du darfst gleich gehen. Splitternackt, wie dich deine Mutter geboren hat.«
Blitzschnell warf der Junge
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