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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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schickte sich endgültig zum Gehen an.
»Memed wird sich nützlich machen bei euch. Aber seid gut zu meinem Jungen in den ersten Tagen. Laßt ihm seine Eigenheiten. Er wird sich bald eingewöhnt haben.« Damit wandte er sich talwärts, auf seinen Stock gestützt. Gebeugt zwar, schritt er doch so rüstig aus wie ein junger Bursche.
Memed traten die Tränen in die Augen. Vielleicht würde er ihn niemals wiedersehen. »Was für gute Menschen gibt es auf dieser Welt«, sagte er zu sich selbst.
Durdu saß auf einem Stein. »He, Ince Memed!« rief er, »komm, probier mal deine neue Flinte aus! Du hast wohl noch nie mit so einem Ding geschossen, was?«
»Ein paarmal schon.«
»Dort auf dem Felsen ist ein weißer Fleck. Siehst du den? Gut. Darauf zielst du jetzt.«
Memed legte an, zielte, feuerte auf die weiße Stelle.
»Ziel verfehlt, Ince Memed!« rief Durdu.
»Was?! Das kann nicht sein!« Memed war zornig.
Der Ältere zuckte die Achseln. »Ich sage es doch. Daneben getroffen.«
Memed biß sich auf die Lippen. Diesmal rückte er den Gewehrkolben ein paarmal hin und her, bis er nichtig an der Schulter aufsaß. Er nahm sich mehr Zeit beim Zielen, erst dann drückte er ab.
»Genau die Mitte!« rief Durdu. Um den weißen Fleck kräuselte sich ein Rauchwölkchen.
»Ja, warum ist denn der andere danebengegangen?« fragte Memed erstaunt.
»Willst du vielleicht behaupten, daß bei dir jeder Schuß trifft?«
»Ich weiß nicht«, lächelte der Junge.
Durdus Gesicht straffte sich - ein junges, aber doch schon von Falten durchzogenes Gesicht mit einem übergroßen, dünnlippigen Mund. Von der linken Wange bis zum Haaransatz lief eine lange Narbe. Das Kinn, obwohl spitz, verriet Energie. Durdu lachte fortwährend. Sein Lachen hatte etwas Bitteres. »Ince Memed, aus dir kann man etwas machen, mein Junge.« Memed errötete wie ein schamhaftes Kind. Von unten pfiff es dreimal. Angespannt horchten sie.
Cabbar rief. »Aga, der Melder kommt!«
Es dauerte nicht lange, bis der Mann erschien. Außer Atem gab er seinen Bericht: »Fünf Reiter! Von der Çanakli-Ebene in Richtung Akyol. Alle ordentlich gekleidet, sie sehen aus, als ob sie Geld hätten.«
Die Männer waren schon dabei, sich bereit zu machen.
»Los, los!« rief Durdu. »Macht euch fertig - und daß mir jeder genug Munition mitnimmt. Durdu der Tolle läßt wieder mal ein paar Herdfeuer ausgehen!«
Zu Memed gewandt, zeigte er auf den weißen Fleck auf dem Felsen:
»Schau her!«
Ein Schuß knallte, ein Rauchwölkchen verdeckte die Stelle. »Na?«
»Haargenau!«
»Und ob!« lächelte Durdu. Dann sah er Memed ins Gesicht. »Deine erste Jagd, Ince Memed. Halte dich wacker!«
Memed gab keine Antwort.
Es war Mittag, als sie unten an der durch dichte Eichenwälder führenden Straße angelangt waren. Sie gingen mit fünfzig Schritt Abstand von Mann zu Mann am Straßenrand in Deckung, während einer von ihnen weit vorn Ausschau hielt.
Bald tauchte ein Mann auf, vor dem ein schmächtiges Eselchen einherstolperte. Dem Reisenden hing ein zerrauftes hellgraues Haarbüschel vom Kinn herab. Die Spitzen des langen, den Mund verdeckenden Schnurrbartes waren vom Tabakrauch gelb gefärbt. Er blinzelte aus umrunzelten Augen in die Sonne. Seine riesigen Füße waren über und über mit Staub bedeckt. Mit der vielfach geflickten Pluderhose hin und her schlenkernd, zog er gemächlich seines Wegs und sang dabei vor sich hin. Die auf der Lauer Liegenden hörten ihm lächelnd zu.
    »Harz rinnt nieder von den Kiefern
    Sehnend schaut dein Liebster, Mädchen,
    deine Busenknospen duften
    wie die bitteren Orangen.

    Mädchen mit den schwarzen Augen,
    strähle deine Ambralocken.
    Braucht dein Vater keinen Wächter
    für den Busen wie Orangen?«

»Hände hoch, oder ich schieße!« schrie Durdu.
Das Lied brach ab, der Mann blieb stehen. »Ich ergebe mich ja schon, Vater. Was soll denn das?«
Der tolle Durdu sprang aus seinem Versteck auf die Straße.
»Ausziehen!«
Der Mann schaute verblüfft. »Was soll ich denn ausziehen?«
»Alles, was du auf dem Leibe hast!«
Der abgerissene Mensch schüttelte sich vor Lachen. »Mach keine faulen Witze, um Allahs willen! Was willst du denn mit meinen Lumpen anfangen? Laß mich weiterziehen, ich bin hundemüde. Hab mir die Füße so wund gelaufen, daß ich umfallen könnte. Also laß mich schon laufen, guter Aga ... «
»Du sollst dich ausziehen, habe ich gesagt. Aber ein bißchen flink«, wiederholte Durdu mit finsterer Miene.
Der andere lächelte ihn ungläubig-verwundert an. Er

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