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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Veli.«
Er rief nach draußen: »Kinder! Einer von euch soll hereinkommen!«
Der sechzehnjährige Sohn, sein Ältester, trat ins Zimmer. »Bring nur die Waffe, mein Sohn.«
Der Junge nahm aus einem Wandschrank im Zimmer eine nagelneue Pistole, reichte sie seinem Vater. Abdi Aga zeigte die Waffe herum.
»Schaut genau hin: Das ist die Pistole, die ihr dem Mädchen abgenommen habt. Oder etwa nicht? Ist das nicht die Waffe, mit der
Veli ermordet worden ist? Schaut sie euch nur richtig an!«
Die Pistole wanderte von Hand zu Hand.
»Habt ihr sie euch auch genau angesehen?«
»Ja. Ganz genau.«
»Das ist die Pistole, die das Mädchen in der Hand gehabt, mit der sie Veli erschossen hat. Als Veli zu Boden gefallen war, ist ihr die Pistole aus der Hand gerutscht. Haci hat sie aufgehoben. Er hat das Mädchen ergriffen. Ihr alle habt das mit angesehen. Ist es nicht so, Haci?«
Haci war ein vorzeitig gealterter kleiner Mann mit grauen Augen und einer zu großen Nase, der in seinen zerlumpten Kleidern und mit seinem verwahrlosten grauen Bart aussah, als sei er durch den Straßenstaub geschleift worden.
»Es war genauso, wie du sagst, mein über alles geliebter Aga. Als die Pistole auf den Boden fiel ... ja, Aga, da habe ich sie aufgehoben. Das Mädchen wandte sich um und lief davon. Das heißt, sie ergriff die Hand von dem Jungen. Von dem fluchbeladenen Ince Memed meine ich. Sie hielt seine Hand, und alle beide liefen davon. Da bin ich hin und habe Hatçe gepackt, habe sie nicht losgelassen. Ja, vor meinen Augen hat sie Veli niedergeschossen.«
Er schüttelte den Kopf, tat, als wische er sich Tränen aus den Augen.
»Mein armer Veli Aga! So einen gibt es nicht wieder. Immer die Besten müssen den Bösen zum Opfer fallen. Mußte mein Veli Aga auch noch durch ein Weibsstück zu Tode kommen, das nicht einmal fünf Groschen wert ist? Vor meinen Augen hat sie ihn gemordet, die Tochter eines Ungläubigen ... und gezielt, die Tochter eines Hundes - wo sie das nur gelernt hat!«
»Ihr habt es gehört«, sagte Abdi Aga. »Habt ihr es nicht auch alle so mit angesehen? Sekerja, du doch auch, nicht wahr?«
»Ich auch. Wie er es gesagt hat«, antwortete Sekerja.
»Und du, Ali?«
Ali der Hinkende hatte sich die ganze Zeit nur mit Mühe beherrscht. jetzt brach es aus ihm hervor.
»Ich habe nichts gesehen, Aga. Nicht das geringste. Seit dieser verfluchten Spurensuche schaut mich keiner mehr an. Keiner in diesem Dorf und keiner daheim. Wo ich vorbeikomme, drehen mir sogar die Kinder den Rücken zu. Meine Frau hat mich betrachtet wie einen Aussätzigen, als ich heimkam, hat kein Wort mit mir gesprochen. Nein, Aga, ich habe nichts gesehen, nicht einmal, daß Memed auf dich geschossen hat. Nein, Aga, laß mich dabei heraus!«
Er stand auf und hinkte zur Tür, in seiner Miene und in seinem ganzen Körper Auflehnung.
Für Abdi Aga kam das unerwartet. Einen Augenblick lang war er fassungslos, er ließ seine Unterlippe hängen. Dann begann sein Kopf vor Wut zu zittern, er beugte sich vor, als wolle er hinter Ali herlaufen.
»Ali! Verschwinde sofort aus deinem Dorf!« brüllte er. »Sieh zu, daß du deine Sachen zusammenpackst und dich davonmachst! Wenn du nur einen Tag noch in deinem Hause bleibst, schicke ich Leute, die es zusammenreißen! Hast du gehört? Schamloser, undankbarer Hungerleider!«
Dann wandte er sich wieder den anderen zu. Er schäumte. »Ihr habt es alle gesehen! Oder?«
»Wir haben es gesehen«, antworteten sie im Chor.
»Nun laßt euer Gewissen urteilen, meine Dorfleute, Brüder ... Ein Grünschnabel, ein Däumling steht auf, mich zu töten. Mich, seinen Herrn, den Aga von fünf Dörfern! Wegen eines Mädchens! Was wäre aus euch geworden, wenn ich gestorben wäre? Denkt nur einmal daran. Wenn ich nicht mehr wäre! Ein Mädchen, das meine Schwiegertochter werden sollte, geht mit einem barfüßigen Hungerleider durch. In welchem Buch steht dergleichen geschrieben? Befragt euer Gewissen, Leute. Man muß in jeder Sache nur auf das Gewissen hören, sonst wird nichts Gutes daraus.«
Musa der Holzklotz sprach: »Es ist schließlich für unseren Herrn. Wir haben unser Gewissen richtig befragt.«
»Recht so, Musa«, sagte Abdi Aga anerkennend.
»Ja, wir haben es uns überlegt«, ließ sich Kadir der Ziegenbock vernehmen. »Wir wissen jetzt, was das Rechte ist. Für unseren Aga ... «
»Möge es euch allen zum Segen gereichen! Dieses Jahr werde ich nur ein Viertel eurer Ernte nehmen. Und das Vieh, da habt, das gehört von nun an euch selbst. So

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