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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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steckten in Bauernschuhen aus frischer, roher Haut, an der noch der Haarflaum zu sehen war. Der Mann stand da, als könne er nichts von alldem begreifen. Sein Gesicht drückte unsagbaren Schmerz aus, die Hände hingen ihm wie vergessen herab. Er ertrug es nicht, den Leichnam seines Sohnes zu sehen, und schaute zur Seite.
Einer sah ihn so dastehen, nahm seinen Arm und führte ihn hinein zu Abdi Aga.
»Kismet!« sagte der Aga und schüttelte den Kopf. Aus seinem Schwager brach es heraus.
»Kismet nennst du dies? Mit Kismet hat dies nichts zu tun. Quäl eine Katze, einen Hund, einen Vogel - beim ersten Mal, beim zweiten Mal haben sie nur Angst, aber beim dritten Mal werden sie wild und reißen dich in Stücke. Bei Menschen geht es schneller ... Nun ist er auf und davon. Allah soll ihn strafen ... «
Dann erstarrte er wieder wie vorher auf dem Hof, als hätte er kein Wort gesprochen, seit er ins Zimmer getreten war.
Abdi Aga knirschte mit den Zähnen. »Hätte ich das nur geahnt ... Warte nur, was ich mit ihnen mache! Warte nur, sie werden sich tausendmal nach dem Tod sehnen, dieser Verfluchte und seine Hure. Tausendmal! Glaubst du, ich ließe ihn davonkommen? An eine Kiefer werde ich ihn binden und den Baum in Flammen setzen. Über kurz oder lang haben wir ihn.«
Er drehte sich zu den Umstehenden und fragte: »Ist die Verfolgung aufgenommen?«
»Sofort!«
»Ist jemand zur Gendarmerie geschickt worden?«
»Auch sofort.«
»Sind noch keine Gendarmen gekommen?«
»Sie kommen erst heute abend. Sie haben Meldung an die Regierung gemacht und warten auf den Kommissar und den Polizeiarzt ... «
»Ja, ohne Arzt geht es nicht«, sagte Abdi Aga.
»Bevor sie da sind, müssen alle herkommen, die mit mir im Wald waren. Unbedingt alle, habt ihr verstanden?«
»Ali der Hinkende und Rüstem sind jetzt da«, meldete einer der Tagelöhner.
»Also sind jetzt alle zusammen?«
»Alle.«
»Dann sollen sie alle zu mir kommen. Und ihr anderen verlaßt das Zimmer.«
Der Vater des Erschossenen stand langsam auf, ohne daß seine Erstarrung von ihm wich, und ging mit schweren Schritten, ohne Abdi Aga noch einmal anzusehen. Alle anderen folgten ihm.
Die Männer, die draußen gewartet hatten, traten in den Raum und setzten sich mit erwartungsvollen Mienen um Abdi Agas Bett. Sie wußten ungefähr, was kommen würde. »So und so habt ihr auszusagen«, würde die Anweisung lauten. So war es immer, wenn die Obrigkeit im Spiele war. Sie waren dazu erzogen, nie selbst eine Äußerung zu tun. Abdi Aga nahm sie sich jetzt vor und ließ sie diejenigen Sätze auswendig lernen, die er für richtig hielt. Dann traten sie vor den Abgesandten der Staatsgewalt und plapperten ihr Papageiengeschwätz herunter. Wenn sie ihren Vers aufgesagt hatten und eine Frage kam, auf die sie nicht eingeübt waren, erwiderten sie: »Mehr weiß ich nicht.«
Abdi Aga sah sie der Reihe nach an. Alle waren blaß. Eine Zeitlang löste sich sein Blick von ihnen, während er, schweigend vornüber geneigt, im Bett saß. Dann hob er wieder den Kopf, sah erneut einem nach dem anderen mit durchbohrendem Blick in die Augen. Mit leiser Stimme begann er:
»Hört mir zu, Brüder. Ich will euch eine Gewissensfrage stellen. Darüber sollt ihr alle einmal in Ruhe nachdenken: Ein Hund, den ihr an eurer Schwelle großgefüttert habt, fällt euch an, beißt euren Kindern die Kehle durch - was würdet ihr mit ihm machen? Darauf sollt ihr mir antworten. Nur euer Gewissen sollt ihr befragen ... «
Lange sah er jeden einzelnen an.
»Nun, antwortet. Was würdet ihr in diesem Fall tun?«
Wieder zwang er mit blitzenden Augen jeden in seinen Blick. »Was würdet ihr tun? Sprecht!«
Ein Gemurmel antwortete: »Alles kommt, wie es kommen muß.«
Abdi Aga riß die Augen noch weiter auf »Und wie meint ihr das?«
»So wie du sagst, Aga. Du weißt es am besten.« Er nickte gewichtig Zustimmung.
»Seht, Brüder, genauso ist es mir ergangen. Mein Hund hat mein Kind angefallen und mich selbst. Der tollwütige Köter ist entlaufen. Aber er wird wieder eingefangen werden. Für ihn gibt es keine Rettung, selbst wenn er ein Vogel wäre. Den Mitschuldigen haben wir schon. Alles Unheil ist nur durch dieses Mädchen über uns gekommen. Haben wir nicht mit unseren eigenen Augen gesehen, wie das Weibsstück Veli niedergeschossen hat? Auf mich hat Ince Memed geschossen, auf Veli das Mädchen. Beide hatten Pistolen in der Hand, ihr alle habt es gesehen. Erst hat der Verfluchte auf mich gezielt und abgedrückt, dann sie auf

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