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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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geht denn, und laßt euer Gewissen richtig entscheiden, wenn die Obrigkeit euch befragt ... «
Strahlend verließen sie den Aga. Drei Viertel der Ernte und das Vieh! Welch ein unverhoffter Segen! In einer Ecke des Hofes, fünfzig Schnitt von dem Toten, hockten sie sich hin, um ihr Sprüchlein auswendig zu lernen.
»Ja, Efendi, so war es. Der Haci hat die Pistole vom Boden aufgehoben. Das Mädchen hatte den Burschen an der Hand und wollte davonlaufen. Dann ließ sie seine Hand los, und wir kriegten sie zu fassen ...«
»Falsch«, unterbrach Haci, »so war es nicht. Du mußt sagen, daß Haci, also ich, sie erreichte, als sie davonrennen wollten. Ich habe Hatçe gepackt. Darauf hat der Bursche, Ince Memed meine ich, das Mädchen losgelassen und ist geflohen.«
»Haci hat das Mädchen gepackt. Darauf hat der Bursche, Ince Memed meine ich, das Mädchen losgelassen und ist geflohen.
Das Mädchen hat gezielt ... Wo mag sie das gelernt haben, die Tochter eines Hundes? Also sie hat gezielt, auf Veli, und dreimal abgedrückt. Und alle drei haben getroffen! Diese Tochter eines Hundes! Alle drei!
Als Veli zu Boden gestürzt war, da fiel dem Mädchen die Pistole aus der Hand. Haci kam und hob sie auf ... «
»Richtig«, sagte Haci. »So ist es gewesen und nicht anders. Laßt es uns noch gut wiederholen, ehe sie kommen.«
Am späten Nachmittag kamen sie. Vorn ritten zwei Gendarmen mit aufgepflanztem Bajonett, hinter ihnen der Arzt, der Staatsanwalt und der Sergeant der Gendarmen. In Abdi Agas Hof stiegen sie ab. Über den Toten war eine Decke gebreitet. Ein wachsgelber Arm hing drunter hervor.
Der Arzt war ein junger, blauäugiger Mann mit einem Mädchengesicht. Mit Widerwillen betrachtete er die Leiche. »Kann beerdigt werden.«
Mit ernsten Mienen begaben sich die fünf Männer hinein, setzten sich um Abdi Aga herum. Sie waren ermüdet von dem langen Ritt. Drei von ihnen kannten Abdi Aga aus der Kreisstadt. Der Sergeant war gut mit ihm befreundet und ergriff jede Gelegenheit, seinem Mitgefühl über das Vorgefallene Worte zu verleihen.
»Habe keine Sorge, Aga«, sagte er, »ich erwische den Mörder. Mit meinen eigenen Händen. Das ist sicher. Er kriegt seine verdiente Strafe, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«
Der Sergeant hatte auch eine Schreibmaschine mitgebracht, die auf Abdi Agas Tisch aufgebaut wurde. Einer der Gendarmen mußte Hatçe holen. Sie berichtete alles so, wie es sich zugetragen hatte. Dann wurde ihre Aussage zu Protokoll genommen. Darauf hörten sie die Tatzeugen, Haci als ersten. Nach langer Einleitung kam er zum entscheidenden Punkt.
»Als Memed auf Abdi Aga schoß, sah ich, daß dieses Mädchen da, die Hatçe, auch eine Pistole in der Hand hielt und sie auf Veli richtete. Sie zielte genau und schoß. Veli schrie auf. 'Ich bin getroffen', stürzte zu Boden. Sie blieb erschrocken stehen und die Pistole fiel ihr aus der Hand. Da bin ich hingelaufen und habe die Pistole aufgehoben. Memed faßte das Mädchen, diese Hatçe da meine ich, am Arm, und sie liefen fort. Ich stürzte mich auf sie und hielt sie fest. Aber Memed entkam. Das Mädchen hatte ich so fest gepackt, daß es nicht fortlaufen konnte.«
Hatçe stand entgeistert, als sie die Aussage hörte. Sie begriff nicht, was das bedeuten sollte.
»Sie sagen, du hättest Veli getötet, Hatçe. Was hast du dazu zu sagen?« fragte der Staatsanwalt.
»N-ein«, stammelte sie. »Wie hätte ich das anfangen sollen? Ich einen großen, starken Mann töten?« Es war doch ganz anders gewesen, als Haci es erzählt hatte. Warum erzählte er nur so etwas?
Dann wurde Zekeriya verhört. Seine Aussage glich der Hacis fast bis aufs Wort. Als sämtliche Zeugen immer nur dasselbe wiederholt hatten, wurde es klar, daß ihr etwas Böses zugefügt werden sollte. Die Angst packte sie, Tränen sprangen ihr aus den Augen.
Der Staatsanwalt hielt den Zeugen die Pistole hin. »War das die Waffe, die Hatçe in der Hand hielt?«
»Ja, ja, diese da war es.«
Über Nacht blieben die Abgesandten der Obrigkeit bei Abdi Aga zu Gast. Sitzteppiche wurden für sie ausgebreitet, junge Lämmer zu ihren Ehren in Lehm geröstet. Überall in den Bergbauerndörfern setzte man dem Staatsanwalt den Lammbraten in dieser köstlichsten aller Zubereitungsarten vor.
Hatçe wurde die Nacht über im Nebenzimmer eingeschlossen. Da saß sie bis zum Morgen schlaflos, den Kopf auf den Knien, und weinte still in sich hinein. In der Frühe holten zwei Polizisten sie ab, um sie ins Gefängnis zu bringen. Sie

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