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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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die Beine. Aller Groll, der sich in Hatçe gegen ihre Mutter angesammelt hatte, war schnell verflogen, als sie sie in diesem Zustand vor sich sah. Tränen traten ihr in die Augen, und es würgte ihr in der Kehle; aber sie brachte es nicht über sich, näher zu ihr zu treten.
Die Mutter sah ihren hilflosen Blick und die Tränen. Ihr war ebenso beklommen zumute.
»Komm zu deiner Mutter, mein Unglückskind!« sagte sie.
Dann konnte sie nicht mehr an sich halten, weinte leise in sich hinein. Hatçe trat jetzt zu ihr, küßte ihr die Hand und setzte sich neben sie.
Iraz gesellte sich zu ihnen. »Willkommen, Schwester!«
»Das ist Tante Iraz. Wir wohnen zusammen.«
»Was ist denn der Schwester widerfahren?« fragte die alte Frau erstaunt.
»Ihren Riza haben sie erschossen.«
»Oh! ... Blind sollen sie werden, die das getan haben, Schwester.«
Eine Zeitlang schwiegen alle drei, dann hob die Mutter den Kopf »Ach, mein Herzenstöchterchen, schwarzäugiges, sei deiner Mutter nicht böse. Was hat dieser Gottlose, der Abdi, nicht alles mit mir gemacht, nur, weil ich die Bittschrift zur Obrigkeit gebracht habe! Was ich durch ihn gelitten habe, das weiß nur ich allein. Er hat mir verboten, noch einmal in die Stadt zu gehen. ja, meine Rose ... hätte ich meinen Liebling sonst in der fremden Stadt allein gelassen, zwischen vier Wänden eingeschlossen? Jeden zweiten Tag wäre ich gekommen, wenn ich gekonnt hätte.«
Sie brach plötzlich ab. Zum ersten Mal hellte sich ihr Gesicht auf »Halt, mein Goldschatz, fast hätte ich's vergessen!«
Sie zog die Köpfe der beiden ganz dicht zu sich heran und flüsterte: »Ich habe eine Nachricht für dich, meine Schöne. Memed ist ein Räuber geworden! Ein Bandit!«
Hatçe wurde blaß, als sie den Namen hörte. Das Herz klopfte ihr bis zum Zerspringen.
»Memed ist zu der Bande Durdus des Tollen gegangen, nachdem er auf die beiden geschossen hatte. Was die Banditen für Dinge tun, das sollte kein Mensch für möglich halten. Es heißt, sie ließen keinen seines Weges ziehen, sie hätten alle Straßen abgeriegelt. Wer sich wehrt, den bringen sie um! Sie plündern die Leute bis auf die Unterhosen aus, ja, bis sie so dastehen, wie ihre Mutter sie geboren hat ... «
»Memed tut so etwas nicht!« rief Hatçe zornig. »Memed tötet keinen Menschen.«
»Wie kann ich das wissen, mein Mädchen! Die Leute erzählen es eben so. Memeds Name ist in aller Munde, er kommt gleich neben dem tollen Durdu. Ich sage ja nur, was ich gehört habe. Abdi, der Gottlose, hat einen ganzen Monat lang ein paar Männer nachts Wache vor seinem Haus stehen lassen. Im Dorf sagen sie, er hätte trotzdem kein Auge zugetan vor Angst und wäre bis zum Morgen immer nur auf und ab gelaufen. Dann ist Sergeant Asim gekommen, und es hieß, er wäre hinter Memed her gewesen. Er hätte gesagt, so einen Banditen wie Ince Memed hätte es hier in den Bergen noch nie gegeben. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte Asim mit Durdus Bande aufgeräumt. Daraufhin hat Abdi Aga aber gemacht, daß er aus dem Dorf hinauskam! Manche sagen, er sei jetzt in der Kreisstadt, andere meinen, in einem von den Çukurova-Dörfern. Ja, es sagen sogar welche, bis zur höchsten Obrigkeit nach Ankara hätte er sich geflüchtet. Nun, wo er weg war, konnte ich endlich zu meinem Liebling kommen. Ja, meine Rose, so war das alles ... «
Während ihrer Erzählung hatte ihr Gesicht zufrieden, sogar froh ausgesehen. Als sie geendet hatte, war es grünlich-blaß wie die Farbe eines Toten. Sie schien dem Ersticken nahe.
Iraz und Hatçe hatten sich bei der Nachricht, Memed sei Bandit geworden, freudig in die Augen gesehen. Als sie aber den veränderten Gesichtsausdruck der alten Frau bemerkten, schraken sie zusammen.
»Mutter, Mutter! Was ist?« stammelte Hatçe.
»Ach, frage nicht, Mädchen! Ich muß dir eine schlechte Nachricht bringen. Allah gebe, daß sie falsch ist. Ich kann es kaum über die Lippen bringen. Gestern morgen habe ich es gehört! Durdu und Memed sollen Streit bekommen haben. Es ging um einen Yürüken-Aga, den Memed in Schutz genommen hat. Deli Durdu hätte Memed und seine zwei Gefährten getötet, sagen sie. Ein Reiter soll durch das Dorf gekommen sein und es gewußt haben, ein schwerbewaffneter Yürüke mit zwei Gewehren, der seinem Aga zu Hilfe kommen wollte. Sein Pferd ist schon über und über voll Schweiß und Schaum gewesen. Ja, das haben sie alles im Dorf erzählt ... « Hatçe war zuerst erstarrt, dann klammerte sie sich mit einem Aufschrei an Iraz.

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