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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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hing über der Spalte in der Luft, sich mit den Händen an einer Baumwurzel festklammernd.
Als sie ihn aus seiner gefährlichen Lage befreit hatten, stöhnte er verzweifelt: »Um Gottes willen, Memed, wie weit ist es noch bis in die Ebene?«
»Wir sind ja schon beinahe da.«
Sie erreichten die Ebene, als der Mond gerade hinter dem gegenüberliegenden Bergmassiv verschwand.
»Endlich!« rief der Sergeant aus. »Daß wir das geschafft haben, ohne von einem Felsen zu stürzen und uns den Hals zu brechen ... Der Teufel hole den verrückten Hund und seine Fallen - jetzt laßt uns erst mal anständig ausruhen. Meine Handflächen brennen schon wie Feuer, darf ich euch sagen.«
Den beiden anderen ging es nicht besser. Die scharfen Felskanten hatten ihre Spuren an den Händen, Knien und Füßen zurückgelassen.
Sie sprachen nicht. Memed versank sofort wieder in seinen Gedanken. Er hat den Tod mehr als verdient! Er dachte an den Winter damals, als sie, kurz vor dem Verhungern, ihre Kuh weggebracht hatten; an sein Pflügen im bitteren Morgenfrost zwischen den mörderischen Disteln, die ihm die Beine zerfleischt hatten; an den bis ins Herz krampfenden, wahnsinnigen Schmerz der Wunden in der Kälte; an seine ganze von Plage und Trübsal vergiftete Kindheit. Er hat den Tod mehr als verdient ... Oh, wenn wir erst im Dorf sind!
Cabbar stieß ihn in die Seite. »He, Memed! Was träumst du da schon wieder?«
»Nichts, nichts.« Er schämte sich.
»Kommt hoch, wir wollen uns auf den Weg machen«, sagte Cabbar. »Sonst wird es zu spät, noch etwas zu unternehmen.« Nach einer Viertelstunde erreichten sie das Graudistelfeld.
»Verdammt!« schrie Recep. »Bei diesen Disteln sehnt man sich nach den Felsen zurück. Die zerfleischen einem ja die Beine wie tollwütige Hunde!«
»Ja, das ist das Distelfeld, auf dem ich immer gepflügt habe«, sagte Memed mit gepreßter Stimme.
Der Sergeant fluchte ununterbrochen.
»Hör mal, Memed«, meinte Cabbar, »Wie kann man nur durch diese Riesendisteln mit dem Pflug hindurchkommen? Das ist ja ein Wald!«
Sie blieben einen Augenblick stehen, um wieder zu Atem zu kommen und sich das Blut von den Beinen zu wischen.
»Der Boden ist noch dazu voller Steine«, stellte Cabbar fest.
»Jetzt sind wir genau an der Stelle, wo ich gepflügt habe«, sagte Memed.
Weit weg im Süden krähte ein Hahn. Dann gelangten sie in ein Tal. Steine rollten ihnen unter den Füßen. Hier waren die Disteln noch bösartiger. Als sie das Tal durchquert hatten, wuchs der hohe Schatten der einsamen Platane vor ihnen auf. Dann hörten sie das Plätschern von Wasser.
»Wir sind da«, sagte Memed. »Hier können wir uns erst einmal das Gesicht waschen. Morgen mache ich jedem von euch ein paar Bauernschuhe.«
Sie stiegen hinunter, zogen die Schuhe aus und tauchten die Füße ins Wasser. Sergeant Recep fluchte noch immer.
»Jetzt ist es aber genug, Mann!« sagte Cabbar. »Wir haben die Disteln doch hinter uns.«
»Verdammt: und dreimal verdammt! Solch einen Distelwald habe ich mein Lebtag nicht gesehen.«
»Das nennen sie bei uns die Quelle.« Memed dachte daran, wie seine Mutter wochenlang auf den Wasserspiegel gestarrt hatte, in der Meinung, seine Leiche würde nach oben kommen. Damals, als er sich zu Süleyman geflüchtet hatte. Und wohl zum tausendsten Mal fragte er sich, was wohl aus seiner Mutter geworden sei.
»Du, Cabbar, was mögen sie mit meiner Mutter gemacht haben?«
»Was können sie ihr denn schon tun?« meinte Cabbar. »Hör mal, Bruder«, fuhr er fort, »bevor wir ins Dorf hinuntergehen, sollten wir lieber erst einmal feststellen, ob die Luft rein ist.«
»Du hast recht«, sagte Memed. »Da unten liegt die Mühle von Ismail dem Ohrlosen. Da können wir uns zuerst umhören.«
»Das wäre bestimmt besser. Ich finde, man darf niemals einfach in ein Dorf hineinschlendern, ohne daß man sich erst umgesehen hat.«
»Sieh an«, meinte Sergeant Recep, »dieser Hanswurst Cabbar weiß genau, worauf es ankommt, der Hundesohn. Als Bandit muß man in jedem Stein und in jeder Ameise einen Feind sehen. Man muß sich immer so verhalten, als ob hinter jedem Stein eine Falle wäre. Du bist noch ein blutiger Anfänger, Memed, mein Sohn. Aber du bist gewitzt, und du verstehst dich aufs Denken. Das ist ein guter Ersatz für die Erfahrung. Überdenke nur immer alles ganz genau.« Bald standen sie vor der Tür der Mühle.
»Wer ist da?« rief Ismail, der Müller, der ihre Schritte gehört hatte.
»Ince Memed. Ibrahims Sohn.«
Von drinnen war

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