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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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»Muß auch das noch über mich kommen, Tante?«
»Ich gehe jetzt«, sagte ihre Mutter. »Allah sei mit dir, mein Kind. Ich lasse dich die Wahrheit wissen, sobald ich kann. Da im Sack ist Butter, auch Brot und Eier. Nächsten Freitag komme ich wieder, wenn dieser Gottlose bis dahin nicht wieder im Dorf ist. Paß gut auf den Sack auf. Lebt wohl!«
Sie ging.
Unterwegs murmelte sie vor sich hin: »Ich hätte es ihr nicht sagen dürfen. Nein, das hätte ich nicht sagen dürfen.«
Hatçe schluchzte verzweifelt: »Wie kann der gottlose tolle Durdu meinen Memed töten? Wie kann ein Mann seinem Kameraden ans Leben? Nein, ich kann es nicht begreifen ... « Iraz tröstete sie: »Banditen werden jeden Tag totgesagt. So etwas darfst du nicht glauben. Daran gewöhnst du dich, später macht dir das gar nichts mehr aus.«
Hatçe hörte ihr nicht zu. »Ich will nicht mehr leben, wenn mein Memed tot ist.«
Iraz wurde heftig. »Hör mal, Mädchen, wie willst du wissen, daß er umgekommen ist? Einen Lebenden beweint man nicht. Als ich jung war, habe ich mindestens zwanzigmal gehört, Ahmet der Mächtige sei tot. Und heute noch soll der leben.«
»Ach, Tante, mit ihm ist es anders. Er hat doch noch keine Erfahrung. Ich kann nicht weiterleben. Ich sterbe.«
»Dummes Kind! Hast du noch nie gehört, wie oft es vorkommt, daß Banditen die Nachricht von ihrem eigenen Tod ausstreuen? Der Ziegenbart ist aus dem Dorf geflüchtet, als er erfahren hat, Memed sei bei den Räubern. Du wirst sehen, Memed hat das alles selbst verbreiten lassen, damit er den Ziegenbart erwischen und töten kann. Es ist gewiß eine List, verstehst du?«
»Nein, Tante. So etwas würde er nicht tun. Oh, ich überlebe es nicht.«
Sie begann zu zittern, als hätte ein Fieber sie gepackt.
Iraz nahm sie in die Arme und brachte sie dann zu Bett.
»Wart ab! Wart nur ab, mein törichtes Mädchen. Schon in einem Tag kann alles anders aussehen! Du darfst nicht alles glauben ... «
Nach zwei Tagen stand Hatçe, mehr tot als lebendig, wieder auf. Alles Leben war aus ihr gewichen. Um die Stirn hatte sie sich ein schwarzes Tuch gebunden. Ihr Gesicht war wachsbleich. Von Tag zu Tag wurde sie schwächer. Die Nächte verbrachte sie schlaflos im Bett, sitzend, den Kopf auf den Knien.
Auch Iraz konnte nicht schlafen. Sie sprachen nachts nicht mehr miteinander.
Nur Iraz sagte immer wieder. »Du wirst sehen, du verrücktes Mädchen, bald haben wir bessere Nachrichten von Memed.«
Hatçe blieb stets die Antwort schuldig.

14
    In den letzten zwei Tagen hatten sie sich tagsüber verborgen gehalten und sich nur nachts auf den Weg getraut. Sie fürchteten eine Falle Durdus des Tollen. Bis zu den Kieferfelsen waren sie gekommen; dort legten sie eine Ruhepause ein.
»Er kann das nicht verwinden«, sagte Cabbar. »Jetzt ruht er nicht, bis er uns irgend etwas antun kann. Ich kenne ihn durch und durch; schließlich bin ich vier Jahre mit ihm herumgezogen. Ehe er unsere Fährte losläßt, stirbt er lieber. Du kannst dich darauf verlassen, daß er uns jetzt auf den Fersen ist. Das hätten wir lieber nicht tun sollen ... «
»Hast du Angst, Cabbar?« fragte Memed.
»Nein, aber ... «
»Was aber?«
»Ich meine nur so. Er wird uns jetzt keine Ruhe mehr lassen.«
»Er soll nur kommen ... «
»Ja, wenn er einfach kommen würde! Aber der Bursche stellt uns eine Falle, dort, wo wir es nie vermuten - und schon sind wir drinnen. Wenn er sich zum offenen Kampf stellen würde wie ein Mann! Die Entscheidung wäre bei Gott: entweder er oder wir!«
Sergeant Recep blickte verträumt auf die untergehende Sonne, auf einen Kiefernwipfel, der auf einer Seite in Rot getaucht war. Langsam senkte er den Kopf Die letzten Sonnenstrahlen vergoldeten sein Gesicht und den Verband aus buntem Tuch, der um seine Halswunde geschlungen war.
»Er oder wir!« fiel er ein, dann versank er wieder in der Abendstimmung.
»Bruder Memed, bist du mir jetzt böse?« fragte Cabbar.
»Nein, warum denn, Bruder? Du hast sicher recht. Ich glaube auch, daß er uns auf den Fersen bleiben wird.«
»Ich meinte nur, wir müssen auf der Hut sein, für alle Fälle ... «
»Du hast ganz recht.«
»Hört mal, Burschen«, ließ sich Sergeant Recep vernehmen, »wißt ihr, was ich an diesen Bergen liebe?«
»Nein«, lächelte Memed.
»Die Bäume hier, wenn die Sonne untergeht und wenn das Licht auf einen Baum nach dem anderen fällt.«
Als die Sonne untergegangen war, wurde es rasch dunkel. Es war Halbmond. Das Mondlicht ließ die Schatten der Bäume langsam,

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