Memed mein Falke
ineinander verflochten, auf den Boden fallen.
»Wollen wir weiter?« fragte Cabbar.
Memed stand auf »Ja, gehen wir.«
»Wartet einen Augenblick auf mich, Burschen!« rief Recep, der auf einen der Felsen zuging. Gleich darauf kehrte er um. »Als es dunkel wurde, war da am Fuß des Felsens so ein grünes Aufflammen. Es war aber nur Moos.«
Cabbar lachte. »Wenn du mit deiner grünen Flamme fertig bist, können wir ja gehen«, meinte der ebenfalls lachende Memed.
»Ja, ich habe mich darüber gewundert. Ich hätte mir das gern noch länger angeschaut, aber wir haben ja etwas vor.«
»Ja, wir haben etwas vor«, sagte Memed.
Sie ließen die Felslandschaft, durch die sie zwei Tage lang gewandert und geklettert waren, hinter sich und stiegen talwärts. Ihre Schritte waren matt, denn sie hatten seit dem Morgen nichts mehr zu essen gehabt. Die Sohlen ihrer Schuhe waren von dem Felsenboden durchgewetzt, wie von einem Schleifstein abgeschliffen; sie trugen nur noch das Oberleder an den Füßen. Die scharfen Felsvorsprünge hatten ihnen die Hände blutig gerissen.
»Jetzt schleichen wir wieder durch die Gegend«, sagte Sergeant Recep. »Warum habt ihr nur solch eine Angst vor diesem Schurken? Laßt uns erst einmal nach unten kommen. Eine Falle! Soll er es doch versuchen!«
»Reg dich nicht auf, Sergeant«, sagte Memed, »wir sind ja schon unterwegs nach den Tälern.«
»Meine Hände schmerzen noch mehr als die Schußwunde am Hals. Wie soll ich denn mit solchen Händen schießen? Und da soll man sich nicht aufregen!«
»Das geht alles vorbei«, meinte Memed. »Sobald wir im Dorf sind, lasse ich dir Wundsalbe für deine Hände machen.«
»Du bist schlimmer als ein altes Weib«, sagte Cabbar.
Der Sergeant wurde fuchsteufelswild. »Wenn du noch einmal so etwas sagst, Cabbar, dann, bei Allah, nagele ich dich hier an einen Baum, hast du mich verstanden?«
»Halt den Mund, Cabbar«, warnte Memed. Cabbar lachte schallend, was Recep noch mehr erboste. Er knirschte mit den Zähnen. »Verdammter Hurenbastard!«
»Gleich kommen wir hinunter in die Ebene, Sergeant, mein Löwe«, sagte Memed versöhnlich.
»Sag dem Hurenbastard, er soll aufhören zu lachen. Bei Gott, ich nagele ihn an einen Baum!«
Cabbar ging auf den Sergeanten zu, faßte seine Hand und küßte sie. »So«, lachte er. »Wir sind wieder versöhnt. Was willst du jetzt noch von mir?«
»Mit Hurenbastarden versöhne ich mich nicht«, murmelte er, immerhin nun etwas sanfter.
»Sergeant, ist deine Flinte geladen?« fragte Memed, um das Thema zu wechseln.
»Sie ist!« antwortete Recep scharf.
»Gut.«
»Mit fünf Schüssen werde ich diesem Gottlosen, dem Abdi, den Kopf zerschmettern! Ich will ihm zeigen, was es heißt, die Ärmsten der Armen zu versklaven!«
»Wir werden zusammen auf ihn abdrücken«, sagte Memed. »Der Brand in meinem Herzen geht nicht vorbei, bevor ich ihn mit eigener Hand getötet habe.«
In all seinem rasenden Haßgefühl dachte er darüber nach, was es hieß, einen Menschen zu töten, ihn ganz und gar auszulöschen ... Es war eine erregende Vorstellung, daß das in seiner Macht lag! Er erinnerte sich daran, wie er im Wald auf die beiden Männer geschossen, wie Veli seine letzten Atemzüge getan hatte, sich windend und strampelnd im Schlamm ... Aber das war etwas ganz anderes gewesen. Das hieß nicht, einen Menschen mit vollem Bewußtsein zu töten. Er hatte seine Pistole abgefeuert, ohne daran zu denken, daß es bedeutete, ein Leben zu vernichten. Nein, er hatte geschossen, um sich seiner Haut zu wehren; dadurch war es ihm leichtgefallen. Aber jetzt hatte er es sich in kaltblütiger Ruhe zum Ziel gesetzt, einen Menschen zu töten, ein Wesen, das Wut, Liebe, Freude fühlte wie er, und mit einem Mal überkam ihn ein Gefühl, als habe er kein Recht, das zu tun. Er hatte inzwischen gelernt, gründlich über die Dinge nachzudenken. Vielleicht hatte der alte Sergeant Hasan damals in der Kreisstadt die Lust am Nachdenken in ihm geweckt.
Aber was war, wenn er Abdi nicht töten würde? Diese Möglichkeit ging ihm für Sekunden vage durch den Kopf Er versuchte, sie erschrocken abzuwehren, aber sie ließ ihn nicht los. »Ach was«, redete er sich zu, »laß uns erst mal ins Dorf kommen, dann sieht es anders aus ... «
Ein lauter Schrei Receps riß ihn aus seiner Grübelei: »Helft mir, schnell! Ich stürze ab!«
Der Sergeant hatte vergebens versucht, mit einem Bein von dem Felsvorsprung, auf dem er stand, auf den nächsten zu springen. Nun konnte er nicht zurück und
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