Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
Vom Netzwerk:
erste Haus erreichten, sprangen ein paar große Hunde auf sie zu. Auf Memeds Zuruf »Psch ... ruhig da, nehmt Platz!« wurden sie freundlich und legten sich bald nieder.
Das Dorf war wie ausgestorben. Vergebens spähte Memed nach Leben aus, nach Hühnern, nach Menschen, die zur Feldarbeit gingen. Leise klopfte er an die Tür seines Elternhauses. Nichts rührte sich. Er horchte, klopfte wieder. Kein Laut war zu hören.
Beunruhigt trat er an das kleine Fenster, rief leise: »Mutter, Mutter!« Er preßte das Ohr an den Fensterrahmen, lauschte mit verhaltenem Atem, ohne etwas anderes zu vernehmen als das Geräusch der Holzwürmer.
Dann fiel ihm ein, daß seine Mutter immer am liebsten zu Durmuş Ali und den Seinen gegangen war.
»Hier wohnt Onkel Durmuş Ali.«
Vor dem Haus waren die Umrisse eines großen Wachhundes zu erkennen. Beim Herannahen von Schritten hob das Tier den Kopf, dann legte es ihn langsam wieder auf die Vorderpfoten.
Memed lehnte sich müde an die Tür. »Onkel Durmuş Ali! He, Onkel Durmuş Ali!«
Von drinnen hörten sie aufgeregtes Sprechen. Die volle Stimme des Alten war zu erkennen. »Wahrhaftig! Das muß Memed sein!«
Die Tür wurde geöffnet. Durmuş Ali erschien in Hemd und Unterhose, ein Siebziger jetzt, aber noch kräftig wie ein Fünfzigjähriger, nur leicht vom Alter gebeugt. Der schneeweiße Bart reichte dem Riesen bis zum Gürtel.
Er lachte Memed entgegen. »Da ist er, quicklebendig! Gestern noch hat dich ein Yürüke totgesagt! Junge, wie mich das freut! Ihr Mädchen, Memed ist da, er ist es wirklich! Steht auf, macht Feuer, legt Decken zurecht, vorwärts! Kommt herein, Burschen!«
Er legte den brennenden Holzspan auf den Herd, setzte sich. »Wie geht es dir jetzt, Ince Memed? Nun erzähl einmal. Das ganze Dorf hat getrauert bei der Nachricht. Hatçe wird sich ja zu Tode grämen, wenn auch sie es gehört hat. Du weißt wohl gar nichts von ihr? Ja, und deine arme Mutter ... Ich habe sie selbst zu Grabe getragen, mit meinen eigenen Händen. So, als hättest du es getan.«
Er hob den Kopf, sah Memed an. Erschrocken bemerkte er, wie sich der Junge verfärbte.
»Was ist mit dir? Hast du denn nichts von alledem gewußt?« Cabbar schossen die Tränen in die Augen. Sergeant Recep rückte verlegen hin und her, machte sich mit seinem Gewehr zu schaffen.
Mit unbewegtem Gesicht fragte Memed: »Und was ist mit Hatçe?«
Durmuş Ali schlug sich vor die Stirn. »Oh, ich elender Narr! Wie konnte ich das nur sagen! Hätte ich nur gewußt, daß du von allem keine Ahnung hast!«
Durmuş Alis Frau hatte die ganze Zeit am Herd gekauert und reglos ins Feuer gestarrt. Sie hatte Memed nicht einmal mit einem »Willkommen« begrüßt. jetzt fuhr sie zornig auf »Das sieht dir wieder mal ähnlich! Konntest du den Jungen nicht erst essen lassen? Jetzt hast du alles nur noch schlimmer gemacht!«
»Konnte ich das vielleicht wissen, wo das alles schon Monate her ist?« gab der Alte schuldbewußt zurück. »Konnte ich ahnen, daß er noch nichts davon erfahren hat?« Er war den Tränen nahe. »Verzeih, mein Junge. Man wird eben alt.«
Durmuş Alis Söhne, Enkel und Schwiegertöchter, alle Bewohner des Hauses standen im Kreis um die am Feuer Sitzenden. Alle starrten auf Memed mit seinem purpurnen Fes, den über der Brust gekreuzten Patronengurten, mit Dolch, Pistole und Handgranaten am Gürtel und dem um den Hals hängenden Fernglas. Ungläubiges Erstaunen war in ihren Blicken, der eine oder andere schien sogar ein wenig belustigt, als säße ein Räuber spielender Knabe neben den Erwachsenen.
»Was ist mit Hatçe?« wiederholte Memed.
Durmuş Ali gab keine Antwort. In sich zusammengekrümmt starrte er in die Flammen.
»Sag du, Tante.« Memed wandte sich an die Frau, deren weiße, zur Hälfte hennarote Haare unter dem Kopftuch um die eingesunkenen Wangen hingen. »Was ist denn nur bloß mit Hatçe?«
Sie sah ihn mitleidig an. »Was soll ich dir sagen, Memed, mein Junge? Was mit Hatçe ist?«
Sie wurde abwechselnd rot und blaß.
»Was ist denn nun mit Hatçe, zum Teufel?« rief Memed. »Einer wird es doch wohl endlich sagen!«
Sie warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu.
»Ach, was soll ich dir nur sagen? Wer weiß, wie lange der arme Kerl unterwegs ist ... «
Sie erhob sich, trat neben Memed, setzte sich mit einem heftigen Ruck zu ihm, schlug ihm mit der Hand aufs Knie.
»Hör zu, mein Junge, ich will dir alles genau erzählen. Abdi war ja nur verwundet. Ach, wäre ihm die Kugel ins Herz gegangen und dort

Weitere Kostenlose Bücher