Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Stuhllehne fischt, tippt Julby gegen das Fenster, als wäre auf der anderen Seite vielleicht irgendetwas. »Jarv ist dumm.«
    »Nein, er ist nicht dumm. Er ist nur klein. Ist er immer noch so ein schwieriger Esser?«
    »Woher soll ich das wissen? Er ist weg. Sie machen ihn undumm.«
    Jarv ist weg. Partridge denkt an seinen ersten Eindruck von Mr Hollenback – ein gealterter, geschrumpfter Mann. Vielleicht hat ihn der Verlust seines Sohns so stark verändert. Partridge will Julby nicht sagen, dass es ihm leidtut – dadurch würde er sie nur darauf bringen, dass es einen Grund gibt, sie zu bemitleiden. Und natürlich gibt es einen Grund: Manche der verschwundenen Kinder kehren nie zurück. »Hoffentlich kommt er bald wieder nach Hause.«
    »Ja, vielleicht. Er war ganz plötzlich weg, also kommt er vielleicht auch ganz plötzlich zurück. Als Überraschung.« Julby blickt auf die offene Tür und fummelt wieder an den Kügelchen an ihrem Pulli herum. »Ich finde, du solltest über Weihnachten bleiben. Es ist schön, wenn du hier bist.« Sie rennt aus dem Zimmer und durch den Flur und schreit: »Er ist wach! Er ist wach! Er ist wach!«
    Partridge macht einen Abstecher ins Bad. Zum Händewaschen zieht er die Kappe von seinem kleinen Finger. Die Haut wirkt fester, weitere Schichten sind dazugekommen. Ein beunruhigender Anblick – beweist der nachwachsende Finger nicht, dass er sich wieder in sein altes Ich verwandelt? Sein Vater will den Finger vollständig rekonstruieren, um die Vergangenheit auszulöschen, um ihn zu reinigen. Wann wird er den Alten endlich sehen? Partridge spritzt sich Wasser ins Gesicht und betrachtet sein Spiegelbild. Ich bin immer noch ich selbst , sagt er sich. Ich bin immer noch ich selbst.
    Als er aus dem Bad tritt, hört er Gelächter aus der Küche. Er geht an dem kleinen Wohnzimmer vorbei – an den Wänden reihen sich antike Bücher auf, in der Mitte steht ein Plastikweihnachtsbaum, eingehüllt vom Arzneimittelduft des Kiefernsprays. An einem Haken am Buchregal hängt nur ein Strumpf mit Geschenken, mit der Aufschrift JULBY auf einer gewellten Schriftrolle. Keine Geschenke für Jarv. Kaum war Sedge ein paar Monate tot, wurde sein Name in Partridges Gegenwart nicht mehr erwähnt. Als hätte es ihn nie gegeben.
    In der Küche rennt Partridge beinahe in Mrs Hollenback hinein. Sie trägt eine weiße Schürze mit einer Stickerei über der Brust: das Jesuskind in der Krippe. Wie ihr Mann wirkt sie hager und gealtert, doch ihre frühere, rastlose Munterkeit ist geblieben. Weil sie Mehl an den Händen hat, umarmt sie ihn, ohne ihn richtig zu berühren. »Partridge! Ich freu mich so, dich zu sehen. Du hast uns ja gar nichts von deiner hübschen Freundin erzählt!«
    Als Mrs Hollenback einen Schritt zurückweicht, entdeckt Partridge Iralene. Hinter ihrem Stuhl steht ein Wachmann – kein Soldat der Spezialkräfte mit eingewachsenen Waffen in den Armen, aber ein paar Verbesserungen hat er auch intus. Vielleicht steckt er mitten in der Umwandlung? Er trägt eine Militäruniform mit Kanone im Halfter. Wieder fühlt Partridge sich wie ein Gefangener, und obwohl Iralene nichts dafür kann, ist er wütend auf sie.
    »Hallo, Iralene.«
    »Hi.«
    »Hat dich mein Vater geschickt?«
    Iralene lächelt. »Es soll eine Party geben.«
    »Was für eine Party?«, fragt Mrs Hollenback, die mit einem Ohr auf einen Streit lauscht, den ihr Mann und Julby im Vorzimmer austragen: »Nein heißt Nein, Julby! Das ist wichtig. Du musst dich heute von deiner besten Seite zeigen, sonst …« Was sonst? Sonst holen sie dich, wie sie Jarv geholt haben? Sonst verschwindest du?
    »Nichts Großes«, antwortet Iralene. »Eine elegante, aber zwanglose Feier.«
    »Das klingt ja reizend!«, ruft Mrs Hollenback. »Und was gibt es zu feiern?«
    »Na ja …« Iralene wirft Partridge einen nervösen Blick zu und wendet sich wieder an Mrs Hollenback. »Eine Verlobung!«
    Mrs Hollenback klatscht so begeistert in die Hände, dass eine kleine Mehlwolke aufsteigt. »Aber Partridge! Das sind ja tolle Nachrichten!« Sie trabt aus dem Zimmer und ruft in den Flur: »Ilvander! Julby! Es gibt Neuigkeiten!«
    Währenddessen setzt Partridge sich neben Iralene. »Was redest du da?«
    »Dein Vater hat das Ganze ein bisschen beschleunigt. Er will wissen, wie weit du gehst, um ihn zu treffen.« Ihre Augen zucken zum Wachmann und zurück zu Partridge.
    »Also sind wir jetzt verlobt? Einfach so?«
    »Eine Verlobung!«, ruft Mrs Hollenback. »Unser