Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
je zuvor. Weil ich immer wissen wollte, wie sich das anfühlt – glücklich sein. Mit dir war ich glücklich.«
»Iralene.« Er will sie noch so vieles fragen.
Doch sie lässt sich auf den Boden sinken. Ihr Kleid bauscht sich um ihre Hüfte auf. Sie zieht die Knie an und verbirgt die Augen. »Du musst suchen«, sagt sie mit gedämpfter, heiserer Stimme. »Die Zeit wird knapp.«
PRESSIA
Zucht
Anfangs ist Pressia gerannt, doch dieses Tempo konnte sie unmöglich halten. Nach einer Weile rennt sie nur noch, wenn es bergab geht und die Schwerkraft auf ihrer Seite ist. So wie jetzt. Es ist dunkel. Fignan hat sie sich unter den Arm geklemmt. Der Lichtkegel seines Strahlers streicht über Bäume – verkümmertes, verkrümmtes, buckeliges Geäst – und springt zurück vor ihre Füße. Eine dichte Efeudecke rankt sich über die Erde und begräbt Geröll, Baumstümpfe und Waldboden unter sich. Als ihr Stiefel auf den Blättern landet, rutscht sie aus, gerät ins Stolpern, taumelt ein paar Schritte und hält sich an einem Zweig fest. Und rennt weiter, weicht Ästen aus, springt über Furchen und vorstehende Wurzeln. Sie weiß, dass die Zeit läuft, und der Schlamm, der sich am Profil ihrer Stiefel festsaugt, bremst sie noch zusätzlich.
Einen knappen Tag ist sie nun schon allein. Sie hat nur eine Pause eingelegt, ein paar Stunden Schlaf unter einem massiven Felsvorsprung. Fignan hält sie auf Kurs, indem er eine Karte mit alten Straßen und Orientierungspunkten in der Luft schimmern lässt. Außerdem zählt er die Zeit bis zur Sonnenwende herunter: noch sieben Stunden und zweiundvierzig Minuten. Sie kann es schaffen, doch ans Ziel denkt sie gar nicht – sie denkt nur von einem Schritt zum anderen.
Sie vermisst Bradwell, El Capitán und Helmud. Sie erinnert sich immer wieder an El Capitáns Kuss. Ich liebe dich, Pressia Belze. Auch an Bradwell denkt sie, an seinen Blick, als sie gegangen ist. Doch je länger sie über die drei nachdenkt, desto klarer wird ihr, dass sie hier sein muss, ohne die anderen. Allein.
Ein paar Mal erhascht sie einen Blick auf Vögel – oder sind es Fledermäuse? Sie wirken geschrumpft, sie huschen eher, als dass sie fliegen. Kleine Nager flitzen durchs Gestrüpp, entstellte, verschmolzene Wesen mit versengter Haut. Mischformen, wie Pressia sie schon oft gesehen hat.
Doch in Irland wird die Luft nicht von so sehr von Asche verdunkelt und vernebelt. Die Welt wirkt größer, ganz einfach weil man mehr davon erkennen kann. Auch die Pflanzen haben sich schneller erholt.
Ein Dornenzweig verhakt sich so hartnäckig in ihrem Hosenbein, dass sie stürzt. Als sie sich mit dem Ellenbogen abfängt, rammt sie sich Fignan in die Rippen. Der Stoß nimmt ihr den Atem.
Sie zerrt ihr Bein aus der Schlinge und zerreißt sich dabei die Hose. Ihre Haut brennt, als hätte sie einen Stich abbekommen. Als sie die Stelle abtastet, fühlt sie eine Schwellung. Sie zieht die Hand zurück. An ihren Fingern klebt verschmiertes Blut.
»Alles okay?«, fragt sie Fignan.
Er lässt die Lichter hüpfen.
»Böser Stachel!«, zischt sie und steht auf. Die Schwellung pulsiert. Sie nimmt Fignan und rennt weiter, doch der Boden wird immer rutschiger. Schließlich muss sie langsamer laufen und sich von Baum zu Baum hangeln, um auf den Beinen zu bleiben.
Es fühlt sich beinahe an, als würde sich die Erde unter ihren Füßen bewegen – als wäre der Efeu lebendig. So schnell sie kann, arbeitet sie sich vor, bis sich plötzlich irgendetwas um ihren Knöchel schlingt. Wieder stürzt sie. Eine Ranke wickelt sich um ihren Arm. Sie versucht, sich loszureißen. Erst in diesem Moment bemerkt sie die Dornen, die sich mühelos in ihre Haut bohren. Blut quillt hervor und rinnt über ihren Arm. Eine weitere Ranke spinnt ihr Bein ein. »Fignan!«
Eine Ranke umkreist ihren Bizeps, schlängelt sich ihre Schulter hinauf und von hinten über ihre Wange. Sie nähert sich ihrem Mund. Pressia schüttelt den Kopf und schlägt um sich. Die Ranken lassen sich erstaunlich leicht ausreißen – doch selbst als ihre Wurzeln lose in der Luft baumeln, geben die dicken Stränge nicht nach, sondern fesseln Fignan und Pressia weiter an den Boden, bis sie nicht mehr hochkommt. Sie gerät in Panik. »Fignan! Ich kann mich nicht bewegen!« Pressia kann sich nur noch mit verzweifelten Augen umblicken. Sie will nicht sterben, nicht hier, wo sie langsam in den Boden faulen würde. Bradwell und El Capitán und Helmud würden auf sie warten und nie
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