Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
sie mich erwischt.«
»Mich erwischt«, wiederholt Helmud. Wenn sein Bruder explodiert, explodiert er auch.
Pressias Kehle schnürt sich zu. »Als du mich gerettet hast?«
Er weicht ihrem Blick aus – und sie begreift, dass es genau so passiert ist. Schuldgefühle zerfetzen sie. Sie streckt die Hand aus und berührt El Capitán an der Brust, knapp über dem Herz. »Wie lang hast du noch?«
»Ungefähr zwei Stunden. Das reicht. Wir können es zum Lazarettvorposten schaffen.«
Pressias aufkeimende Schuldgefühle werden von plötzlicher Wut überrollt. »Wir hätten genug Zeit gehabt, dich zum Arzt im Hauptquartier zu bringen! Wir hätten sofort losfahren müssen, raus aus der Stadt, und …«
»Nein«, sagt El Capitán. »Das hätte uns nur abgelenkt. Das wäre Zeitverschwendung gewesen.«
»Aber …« Im Eiltempo geht sie alle Entscheidungen durch, die im U-Bahn-Waggon getroffen wurden. »Aber du hast uns überredet, uns noch etwas Zeit zu lassen, damit Partridge und Bradwell die Box untersuchen und die Karten fertigstellen können …«
»Ich hab doch gesagt, dass Menschen manchmal bereit sind, sich für die gute Sache zu opfern. Das war nicht gelogen.«
Pressia ist fuchsteufelswild. »Aber noch haben wir Zeit, oder? Wir müssen dich …« Eine gigantische Explosion. Der untere Schornsteinbrocken zerspringt zu Staub und Steinsplittern. Pressia wird auf den Rücken geschleudert, faustgroße Beton- und Zementklumpen prasseln auf sie herab und treiben ihr die Luft aus der Lunge. Sie hört nur noch gedämpft. Die Spezialkräfte greifen auf schwere Artillerie zurück. Nervös betastet sie die Ampullen – sie sind alle noch ganz. Pressia rollt sich auf den Bauch und blickt sich um. In der Luft hängen Rauch und Staub. »Wilda!«
»Hier!« El Capitán hält sie im Arm. Er hat sie mit dem Körper abgeschirmt.
Ein weiterer Einschlag direkt zwischen ihnen.
»Renn!«, brüllt Pressia. »Nimm sie mit und renn!«
El Capitán springt auf.
»Wir sehen uns wieder!«, schreit sie noch. »Das ist nicht das Ende!« Das kann nicht das Ende sein.
Er schenkt ihr ein Lächeln, ein trauriges Lächeln, dreht sich um und rennt, hinkt mit seinem angeschlagenen Bein davon. Ehe die beiden in den Rauchwolken verschwinden, hebt Helmud einen dürren Arm. Er winkt zum Abschied.
Pressias Brust schmerzt, als müsste sie jeden Moment zerspringen. Eine Spinne hat sich in El Capitáns Bein verbissen, als er sie gerettet hat. Wie viel Zeit bleibt ihm noch? Sie kann sich nicht erinnern. Konzentrier dich, befiehlt sie sich. Sie blinzelt die Tränen weg und blickt aufs Schlachtfeld.
Bradwell. Sie muss Bradwell finden.
Und wo sind Partridge und Lyda? Werden sie bereits zum Kapitol geschafft?
Mit schweren Beinen läuft sie an dem zertrümmerten Schornstein entlang. In etwa sechzig Metern Entfernung drängt sich eine kleine, geschäftige Gruppe. Zuerst hält Pressia sie für Mehrlinge – doch es ist ein Rudel Kellerjungs, das einen gefallenen Soldaten, einen stämmigen, muskelbepackten Kerl aus der Schusslinie gezerrt hat. Nun weidet es die Leiche aus, auf der Suche nach Waffen und Bauteilen. Pressia wird schlecht. Sie hasst diese Welt.
Bradwell. Wo ist er? Kommt er überhaupt noch zurück? Was, wenn er schon tot ist? Tot.
Drüben fangen die Kellerjungs an, sich um die Überreste des auseinandergenommenen Soldaten zu schlagen. Doch etwas Kleines, Scharfes saust durch die Luft und gräbt sich zwischen ihren Füßen in den Boden.
Ein Dartpfeil.
Und noch einer.
Die Mütter sind da. Sie haben sich auf der anderen Seite der Bodenwelle postiert und lassen einen Hagelschauer aus Darts, Speeren und Pfeilen niedergehen. Warum kommt der Überraschungsangriff ausgerechnet jetzt? Da sieht Pressia ihn – Bradwell, der durch den Staub auf sie zurennt, Fignan unter dem einen Arm, die eingerollten Karten unter dem anderen. Die Mütter geben ihm Feuerschutz. Bradwell lebt. Pressia spürt eine plötzliche Schwerelosigkeit in der Brust, eine Schwerelosigkeit der … Erleichterung? Der Freude?
»Bradwell!«, brüllt sie. »Hier!«
Projektile surren durch die Luft und schlagen krachend in den Schornstein ein. Staub hat sich auf Bradwells Augenbrauen gelegt, Dreckschlieren kleben auf seinen Wangen. Pressia ist nur noch erleichtert – bis Bradwell stürzt. Hat er eine Kugel abbekommen? Er klammert sich weiter an Fignan und die Karten, doch ein Dust hat ihn am Bein gepackt, eine Klaue krallt sich um seinen Knöchel. Mit letzter Kraft eilt
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