Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
sie drauf und dran, in Tränen auszubrechen.
Partridge muss seine ganze Kraft zusammennehmen, um sich aufzurichten und ans Kopfende zu lehnen. Zuerst sieht er Mimi doppelt, doch als er die Augen zusammenkneift und sich konzentriert, erkennt er, dass sie ein eckiges, aber auf ihre eigene Art hübsches Gesicht hat. Sie wirkt seltsam alterslos, als wäre sie zugleich zehn Jahre jünger und älter als seine Eltern. Liegt es an ihren Gesten, an ihrer Art zu sprechen? Nicht mal als sie ihn aufmunternd anlächelt, bilden sich auf ihren Wangen Falten. Nur straffe Haut.
Auf einmal kapiert er es – Mimi denkt, zwischen ihnen müsste eine gewisse Nähe bestehen, weil sie ihrem Vater nähergekommen ist. Sie und ihre Tochter mussten sich in den Randbezirken aufhalten, doch sie hat ihn mit mütterlichem Blick beobachtet – seit Jahren schon? »Bist du …?« Er weiß nicht, wie er es ausdrücken soll. »Bist du die …« Die Geliebte meines Vaters? Ist das das richtige Wort?
Mimi strahlt. »Ich bin seine Frau .«
»Was?«
»Streng genommen sind wir noch ganz frisch verheiratet, aber wir sind seit Jahren zusammen. Er liebt mich, und ich liebe ihn. Ich hoffe, das kannst du akzeptieren.«
Partridge wird übel. »Er bringt meine Mutter um, und zwei Sekunden später heiratet er dich?« Er tritt die Decke und die Laken beiseite. Seine Beinmuskeln brennen, als er sich zur anderen Bettkante schiebt und die Füße auf den Boden schwingt. »Das war wohl das i-Tüpfelchen auf der Sache mit dem explodierenden Kopf – dass er danach ein freier Mann ist!«
»Er ist kein Mörder«, sagt Mimi leise. »Du bringst da was durcheinander.«
»Er hat mich foltern lassen! Ist dir das klar? Ich kann von Glück sagen, dass ich noch lebe!« Partridge spürt den nahen Tod noch immer, als hätte er sich tief in seinen Körper gegraben.
»Du könntest genauso gut einen Vater haben, dem du völlig egal bist, der dich verlassen hat. So einen Vater hat meine Tochter. Dein Vater hat mich aufgenommen, als mich niemand mehr wollte. Er hat uns das Leben gerettet.« Mimi lächelt ihn an, doch ihr Lächeln wirkt bemüht. Nur eiserne Geduld hält es aufrecht.
»Mein Vater ist ein Massenmörder.« Partridge zerrt an dem Halsband. Es ist viel zu eng.
Sie schüttelt den Kopf und schnalzt vorwurfsvoll mit der Zunge. Schimpft sie etwa mit ihm? Hält sie sich wirklich für seine Mutter ? Am liebsten würde er ihr eine runterhauen. »Du warst zu lange draußen«, erklärt sie. »Wir hatten gehofft, du wärst zur Vernunft gekommen.« Sie steht auf und streicht sich den Rock glatt. »Aber ich erzähle deinem Vater nicht, was du da gesagt hast. Er würde sich nur aufregen, und du hättest noch mehr Ärger.« Sie geht zum Fenster. Partridge verabscheut sie, aber er weiß, wer aller Wahrscheinlichkeit nach an allem schuld ist, was an ihr kaputt und verdorben ist – sein Vater.
Mimi blickt aus dem Fenster. Derselbe alte Mann geht wieder am Strand entlang, in dieselbe Richtung wie zuvor, und schwenkt den Metalldetektor.
»Pass auf«, sagt Mimi. Sie lehnt sich aus dem Fenster und ruft: »Hallo! Wie geht’s heute Morgen so?«
Der alte Mann bleibt stehen, nimmt die kleine Kappe ab und winkt mit weit ausholenden Bewegungen.
»Früher hat er mich einfach ignoriert«, erzählt sie. »Aber ich habe deinem Vater gesagt, wie sehr mich das stört, mich und meine Tochter Iralene, und da hat er es in Ordnung gebracht. Ich musste es nur einmal erwähnen, und ein paar Tage später hat der dumme alte Mann zurückgewinkt. Eigentlich hasse ich ihn, aber jetzt bleibt er wenigstens stehen und winkt. Immerhin, was?« Mimi macht ihm Angst. Sie schäumt über vor Liebe, Verletzlichkeit, Wut – in Sekundenschnelle springt sie von Gefühl zu Gefühl. »Weißt du was? Ich hätte nicht persönlich herkommen müssen. Das hat niemand von mir verlangt. Aber ich habe deinen Vater um Erlaubnis gebeten, und er hat zugestimmt, weil es mir sehr wichtig war, dich zu sehen. Ich hoffe, es war keine Zeitverschwendung. Ich hasse es, echte Zeit zu vergeuden.«
Partridge kann sich den besserwisserischen Kommentar nicht verkneifen. »Aber falsche Zeit vergeudest du gern, oder was?«
»Du meinst angehaltene Zeit.«
Er zuckt mit den Schultern. »Meinetwegen.«
»Ich habe so viel angehaltene Zeit, wie ich will. Die kann man gar nicht vergeuden. Aber vielleicht ist dir das zu philosophisch, um es so richtig zu begreifen …«
»Ich lass es drauf ankommen.«
»Es liegt in der Natur der
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