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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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zu den Wachen. »Das … das habe ich nicht gewusst.«
    »Wenn man dich nicht informiert hat, sollte es wohl eine Überraschung sein«, sagt die Wache, die ihre Fessel durchgeschnitten hat.
    »Geben Sie mir eine Minute«, bittet Lyda. Ihre Handflächen sind plötzlich verschwitzt. Sie wischt sie an den Beinen des weißen Overalls ab.
    Die andere Wache klopft. »Wir sind pünktlich«, sagt sie.
    »Herein«, ruft eine Männerstimme.
    Willux ist kleiner, als sie ihn in Erinnerung hat. Seine Schultern sind rund und nach vorn gebeugt. Sie kennt ihn als robusten, energischen Mann. Er war derjenige, der die Ansprachen gehalten hat bei öffentlichen Versammlungen und Gedenkfeiern. Dann hat Foresteed vor ein paar Jahren diese Aufgabe übernommen, ohne weitere Erklärung. Vielleicht, weil er jünger ist und weil seine Zähne strahlen, als hätte er den Mond verschluckt. Willux ist alt geworden. Viele der wichtigsten Männer im Kapitol wirken glatt und durchtrainiert, doch Willux sieht geradezu gebrechlich aus mit seinem weichen Spitzbauch.
    Er dreht sich um auf seinem Sessel vor einer Batterie von Monitoren und Tastaturen und lächelt zurückhaltend. Er setzt seine Brille ab – er trägt tatsächlich eine Brille. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal jemanden mit einer Brille gesehen hat. Er faltet die Brille und hält sie vor seine Brust. »Lyda«, sagt er.
    »Guten Tag«, sagt sie und streckt die Hand aus.
    Er schüttelt den Kopf. »Lassen wir die Förmlichkeiten«, sagt er, doch es fühlt sich an wie Ablehnung. Oder Zurückweisung? Ist sie unsauber, nachdem sie Patientin im Therapiezentrum war? »Setz dich.« Er deutet auf einen kleinen schwarzen Hocker. Sie nimmt darauf Platz, vorn auf der Kante. Er nickt den Wachen zu. »Wir unterhalten uns allein«, sagt er. »Danke, dass Sie sie heil und wohlbehalten hergebracht haben.«
    Die Wachen verneigen sich leicht. Diejenige der beiden, die ihre Fesseln durchgeschnitten hat, sieht sie ein letztes Mal an, als wollte sie ihr Mut zusprechen. Dann gehen sie. Die Tür schließt sich hinter ihnen.
    Willux legt seine Brille auf den Schreibtisch neben eine kleine blaue Schachtel. Sie ist gerade groß genug für einen Napfkuchen. Lyda erinnert sich an den Napfkuchen vom Ball, die weiche, schwammige Struktur, die beinahe zu große Süße eines jeden Happens und daran, wie sie über die großen Bissen gestaunt hat, mit denen Partridge seinen Kuchen verschlungen hat. Er hat mit Hingabe gegessen. Was wohl in der Schachtel sein mag?
    »Ich nehme an, du hast gehört, dass mein Sohn verschwunden ist?«, beginnt Willux ohne Umschweife.
    Lyda nickt.
    »Vielleicht weißt du noch nicht, dass er wirklich gegangen ist.«
    »Gegangen?« Lyda ist nicht sicher, was er meint. Ist Partridge tot?
    »Er hat das Kapitol verlassen«, sagt Willux. »Und ich würde gerne dafür sorgen, dass er sicher hierher zurückkehrt, wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst.«
    »Oh«, sagt Lyda. Selbst die im Therapiezentrum eingesperrten Mädchen wussten es. Er ist irgendwo da draußen. Soll sie sich überraschter zeigen? »Natürlich wollen Sie ihn zurück. Selbstverständlich.«
    »Es gibt Gerüchte, dass er recht angetan war von dir.« Willux hebt die Hand und streicht sich über das dünne Haar. Sein Kopf ist nahezu kahl und erinnert sie an einen Babykopf und das Wort Fontanelle – die weiche Stelle oben auf dem Kopf eines Babys, wo man den Puls sehen kann.
    Sie hatten viel Unterricht über die richtige Versorgung von Säuglingen. Sie dachte immer, das Wort Fontanelle wäre passender gewesen für etwas Exotisches, einen italienischen Brunnen zum Beispiel. Seine Hand zittert. Ist er nervös? »Ist das zutreffend? War er verliebt in dich?«
    »Ich weiß nicht, was er empfunden hat. Ich kenne nur mein eigenes Herz«, sagt Lyda.
    »Dann lass mich einfacher anfangen«, sagt er. »Wusstest du Bescheid über seine Pläne?«
    »Nein.«
    »Hast du ihm bei der Flucht geholfen?«
    »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Hat er ein Messer aus der Ausstellung gestohlen, und hast du dies zugelassen?«
    »Möglicherweise hat er etwas gestohlen, als ich nicht hingesehen habe. Ich weiß es nicht. Wir waren zusammen in der Ausstellung.«
    »Doktorspiele?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagt Lyda. »Nein.«
    »Ich denke doch, dass du es weißt.« Er tippt mit drei Fingern auf die hellblaue Schachtel.
    Sie hat plötzlich Angst vor dem Inhalt der Schachtel. »Nein, weiß ich nicht.«
    Er beugt sich vor, senkt die

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