Memento - Die Überlebenden (German Edition)
Stimme. »Bist du jungfräulich?«
Sie spürt, wie die Hitze in ihre Wangen steigt. Ihre Brust ist wie zugeschnürt. Sie weigert sich zu antworten.
»Ich kann jederzeit eine Frau kommen lassen, die dich untersucht«, sagt er. »Oder du sagst mir einfach die Wahrheit.«
Sie starrt auf den gefliesten Boden.
»War es mein Junge?«, fragt er.
»Ich habe Ihre Frage nicht beantwortet«, sagt Lyda. »Und ich werde es auch nicht.«
Er beugt sich vor und tätschelt ihr Knie, dann lässt er die Hand dort liegen. »Keine Angst«, sagt er.
Ihr ist übel. Sie will ihn treten. Sie schließt die Augen, kneift sie zusammen. Seine Hand gleitet von ihrem Knie. Sie blickt zu Boden.
»Wenn es mein Sohn war, können wir es immer noch so arrangieren, dass alles seine Richtigkeit hat. Wenn wir ihn finden, heißt das, und ihn nach Hause zurückbringen können.«
»Ich muss ihn nicht unbedingt heiraten«, sagt Lyda. »Falls es das ist, was Sie meinen.«
»Aber vielleicht wäre es schön? Ich meine, nach den jüngsten Ereignissen und deiner Vorgeschichte wird es nicht einfach werden für dich, einen Platz zu finden.«
»Ich werde schon überleben.«
Für einen Moment herrscht Stille im Raum. »Meinst du?«, fragt Willux dann beinahe gelangweilt.
Ihr Herz schlägt bis zum Hals. Sie merkt, dass sie die Hände im Schoß ineinander verschränkt hat, so fest, dass die Nägel sich in die Haut drücken.
»Wir haben einen Plan, und deine Mitwirkung ist erforderlich«, sagt Willux. »Du wirst nach draußen gehen.«
»Wohin nach draußen?«
»Aus dem Kapitol. Auf die andere Seite.«
»Aus dem Kapitol?« Das ist die Todesstrafe. Sie wird ersticken. Man wird sie angreifen. Die Unglückseligen werden auftauchen, sie vergewaltigen, sie zerreißen. Draußen, außerhalb des Kapitols, haben die Bäume Augen und Zähne. Das Erdreich verschlingt jedes Mädchen, das noch eine halbwegs menschliche Gestalt hat. Sie jagen und fangen dich und grillen dich bei lebendigem Leib und fressen dich auf. Dorthin schickt er sie. Nach draußen.
»Die Spezialkräfte werden dich zu einem bestimmten Ort bringen, und du wirst meinen Sohn dazu bringen, dass er zu uns zurückkehrt.«
»Sind Sie sicher, dass er noch lebt?«
»Ja. Zumindest bis vor ein paar Stunden, und seither ist nichts vorgefallen, das eine Änderung dieses Zustands vermuten lässt.«
Sie spürt eine gewisse Erleichterung. Vielleicht kann sie Partridge tatsächlich zur Rückkehr bewegen. Vielleicht würde Willux sie sogar heiraten lassen. Aber was wird aus ihr, wenn sie herausfinden, dass Partridge sie nicht liebt? Dass er lediglich freundlich sein wollte, nachdem sie den Diebstahl des Messers geduldet hat?
Willux verschränkt die Hände und ruft nach einem unsichtbaren Assistenten. »Spiel Sektion Eins-siebenundzwanzig ab. Partridge«, befiehlt er, und an Lyda gewandt. »Damit du dich selbst überzeugen kannst.«
Das Display flammt auf, und Partridge erscheint. Er ist schmutzig, erschöpft, zerschrammt, doch es ist Partridge, kein Zweifel. Seine hellgrauen Augen, seine starken Schneidezähne, von denen der eine ein Stückchen vor dem anderen steht. Der Blickwinkel ist der einer anderen Person. Die Augen von jemand anderem – die Augen eines Mädchens. Lyda sieht es, als sie an sich herunterblickt und dann wieder auf Partridge. »Ich wusste es nicht«, flüstert Partridge ihr zu. »So etwas hätte ich nie verheimlicht. Nicht vor dir, meine ich.« Der Blick geht wieder zu Boden.
Was verheimlicht?, fragt sich Lyda. Es ist offensichtlich, dass Partridge dieses Mädchen gut kennt. Lyda wünschte, sie könnte ihr Gesicht sehen. Das Mädchen sieht Partridge nicht mehr an. Ihre Augen gleiten über die Wand, vollgestellt mit alten, geborstenen, rostigen Maschinen. Sie befinden sich außerhalb des Kapitols, kein Zweifel.
»Ich wollte nur, dass du das weißt«, sagt Partridge, und dann kommt sein Gesicht wieder ins Blickfeld, und seine Hand ist in einen blutigen Verband gehüllt. Er hält sie gegen die Brust gedrückt. Partridge lächelt das Mädchen an.
Das Mädchen nickt – es wird offensichtlich, weil der Blickwinkel der Kamera kurz auf und ab schwankt.
»Was denkst du jetzt über sie?«, fragt das Mädchen. Reden die beiden über sie, fragt sich Lyda unwillkürlich. Warum sonst sollte Willux ihr diesen Clip zeigen?
»Ich weiß es nicht«, sagt Partridge.
Der Bildschirm wird schwarz.
»Er ist verletzt«, sagt Lyda. »Was ist mit seiner Hand passiert?«
»Eine unbedeutende Verletzung.
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