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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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sie. »Niemand da, um mich zu begleiten!« Beinahe fängt sie an zu weinen, doch dann hält sie inne. Sie lässt die Faust an der Tür entlang nach unten gleiten.
    Sie dreht sich um – und entdeckt Spurrillen. Sie enden unvermittelt vor dem Kapitol, und sie erkennt die große, rechteckige Fuge des, wie sie vermutet, Ladedocks, das die Wache erwähnt hat. Vielleicht hätte der Mann besser geschwiegen. Jetzt weiß sie, dass das Kapitol nicht vollkommen abgeschottet ist. Es steht in Verbindung mit der Außenwelt. Das widerspricht allem, was sie gelernt hat. Man hätte ihr nicht sagen sollen, dass es ein Ladedock gibt. Vielleicht wusste die Wache, dass es keine Rolle spielt, was sie weiß und was nicht, weil sie ohnehin nie wieder zurückkommen würde.
    Sie macht ein paar Schritte nach vorn. Ihre Schuhe rutschen im trockenen Schotter. Sie ist an die gefliesten Gänge der Akademie gewöhnt, die gepflasterten Pfade zwischen den Rasenflächen hindurch und die gummiartigen Bodenbeläge des Therapiezentrums, die ihren Füßen festen Halt bieten. Sie steht auf einem abwärts führenden Hang, und so wird sie unwillkürlich schneller, während sie begreift, dass sie wirklich und wahrhaftig allein ist unter dem Auge der echten Sonne hinter einer Bank von Wolken an einem grenzenlosen Himmel. Sie fängt an zu rennen.
    Die Mädchenakademie hat keine Leichtathletikteams, obwohl sie jeden Morgen in der Sporthalle eine Stunde Gymnastik in einteiligen Overalls machen. Sie hasst die kurzbeinigen Overalls, und sie hasst Gymnastik. Wann ist sie zum letzten Mal so gerannt wie jetzt? Sie ist schnell. Ihre Beine fühlen sich stark an unter ihr.
    Sie rennt eine Weile und nähert sich immer mehr dem Wald. Dann hört sie ein Summen, ein tiefes, elektrisches Geräusch. Es kommt von den verkrüppelten Bäumen, doch sie kann nicht genau sagen, aus welcher Richtung. Sie hört auf zu rennen und ist überrascht, dass es sich anfühlt, als wäre sie immer noch in Bewegung. Das Stampfen ihrer Füße auf dem Boden ist jetzt das Hämmern ihres Herzens in der Brust. Sie sucht die Wälder ab, und dann sieht sie eine große, schimmernde Gestalt, die sich mit hoher Geschwindigkeit bewegt. Sie erinnert sich an die Worte der Wache. Keine Angst. Sie sind keine richtigen Menschen. Sie sind Kreaturen.
    Sollte das ein Trost sein?
    »Wer ist da?«, ruft sie. »Hallo, wer ist da?«
    Die Gestalt glitzert erneut, als würde sie das Licht reflektieren. Und dann richtet sie sich zu ihrer vollen Größe auf und bewegt sich auf langen, muskulösen Beinen mit einer Eleganz, die an eine Spinne erinnert. Lyda kommt zu dem Schluss, dass sie zu den Spezialkräften gehören muss, auch wegen des eng sitzenden Tarnanzugs mit der Mischung aus dunklen Farben, die sich nicht von Schmutz und Asche abheben. Blasse Arme mit massiven Muskeln starren vor Waffen, schwarzen glänzenden Gebilden, für die Lyda keine Namen hat. Die Hände dieses Geschöpfes sind zu groß für seinen Körper, doch sie passen perfekt zu den Griffen der Waffen. Lyda sieht auch Messer, und die machen ihr fast noch mehr Angst als die anderen Waffen.
    Das Gesicht der Kreatur ist schlank, kantig und maskulin, auch wenn Lyda es nicht als männlich empfindet. Die Augen sind schmale Schlitze unter einer massigen Stirn. Das Wesen starrt Lyda an, dann kommt es herbei. Lyda rührt sich nicht.
    »Bist du hier, um mich zu treffen?«, fragt sie. »Du gehörst zu den Spezialkräften?«
    Das Wesen schnüffelt in der Luft um Lyda herum, dann nickt es.
    »Weißt du, wer ich bin?«
    Es nickt erneut. Wenn es nicht menschlich ist, was ist es dann? Wie kommt es, dass es für das Kapitol arbeitet? Ist es ein Unglückseliger, ein Überlebender, den sie verwandelt haben, um das Kapitol zu schützen?
    »Weißt du, wohin du mich bringen sollst?«
    »Ja.« Die Stimme ist menschlich. Sie klingt männlich tief und ist zu Lydas Überraschung durchsetzt von Melancholie und Sehnsucht. »Ich kenne dich«, sagt das Wesen.
    Das macht ihr Angst. Sie kann nicht sagen warum. »Ich bin dein Schützling«, sagt sie in der Hoffnung, dass es das ist, was er gemeint hat. »Oder vielleicht ist Geisel auch das bessere Wort.«
    »Sehr wohl«, sagt das Wesen, dann wendet es sich um und geht in die Hocke. »Ich werde dich tragen. Das geht schneller.«
    Sie zögert. »Du willst mich Huckepack nehmen?« Sie ist überrascht beim Klang des Wortes. Sie hat es seit Ewigkeiten nicht mehr gehört.
    Das Wesen antwortet nicht, sondern wartet reglos.
    Sie sieht sich

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