Memento - Die Überlebenden (German Edition)
viele zum Zählen, manchmal eine Reihe von Hörnern, ein Kamm auf dem Rücken – ihre Hörner sind einfach grotesk. Einige winden sich umeinander wie Ranken, um anschließend zur Seite wegzugehen. Bei einem sind die Hörner nach hinten gewachsen, wie eine Mähne, und mit den Rückenwirbeln verschmolzen, sodass der Kopf unbeweglich ist.
So furchterregend die Tiere auch aussehen, Partridge ist dankbar zu wissen, dass er das Wasser trinken kann. Er hat einen rauen Husten – vom Einatmen der Filterfasern? Oder von der sandigen Asche? Er wartet darauf, dass die Schafe weiterziehen, um seine Flaschen aufzufüllen.
Doch die Schafe sind nicht verwildert. Ein Hirte taucht unter den Bäumen auf, ein Mann mit krummen Beinen und einem Armstummel. Er schwenkt einen langen Stock und stößt laute, schroffe Rufe aus. Sein Gesicht ist gezeichnet von Verbrennungen, und ein Auge scheint sich verschoben und in seinen Wangenknochen gebettet zu haben. Seine Stiefel sind schwer und schlammbedeckt. Er treibt die Schafe zusammen, mit brutalen Schlägen und kehligen Lauten. Dann lässt er den Stock versehentlich fallen und bückt sich, um ihn aufzuheben. Er dreht den Kopf – das Gesicht übersät von Brandnarben – und sein Blick begegnet dem von Partridge. Er verzieht das Gesicht. »Du«, sagt er. »Willst du klauen? Fleisch oder Wolle?«
Partridge wickelt den Schal um sein Gesicht, zieht die Kapuze über und schüttelt den Kopf. »Ich brauche Wasser«, sagt er und zeigt auf den Tümpel.
»Trink das, und du verrottest von innen«, sagt der Mann. Seine Zähne glänzen wie dunkle Perlen. »Komm mit. Ich hab Wasser.«
Die Schafe trotten in den Wald zurück, getrieben vom Hirten. Partridge folgt ihnen. Die Wälder sind verbrannt und schwarz, doch an manchen Stellen kommt neues Grün zum Vorschein. Schon bald kommen sie zu einem Schuppen und einem aus Draht und Pfosten gebastelten Pferch. Der Mann treibt die Schafe hinein. Einige bocken, und er versetzt ihnen Schläge gegen die Köpfe. Sie blöken. Der Pferch ist so klein, dass sie sich hineinzwängen müssen und eine lebende Wolldecke bilden.
»Was ist das für ein Gestank?«, will Partridge wissen.
»Dung, Pisse, Mist, dreckige Wolle. Ein bisschen Tod. Ich hab Schnaps«, sagt er. »Selbst gebrannten. Aber der is nich umsonst.«
»Nur Wasser«, sagt Partridge. Sein Atem macht den Schal feucht. Er zieht eine Flasche aus seinem Rucksack und reicht sie dem Mann.
Der Mann starrt die Flasche für einen Moment an, und Partridge fürchtet schon, es könnte irgendwas an der Flasche sein, das ihn verrät, doch dann humpelt der Mann in den Schuppen. Partridge kann kurz ins Innere sehen; die verzogene Tür wird vom Dreck offen gehalten. An den Wänden hängen die rosigen Körper gehäuteter Tiere. Ohne Köpfe kann er sie nicht zuordnen. Nicht, dass die Köpfe ihm auf jeden Fall weitergeholfen hätten.
Partridge spürt einen Stich am Arm. Er schlägt zu und trifft einen gepanzerten Käfer mit massigen Zangen. Das Insekt scheint sich in seiner Haut verbissen zu haben. Partridge bleibt nichts anderes übrig, als es mit den Fingern der anderen Hand zu packen und herauszuziehen.
Der Mann kommt mit der Flasche zurück. Sie ist mit Wasser gefüllt.
»Wo kommst du her?«, will er wissen.
»Aus der Stadt«, sagt Partridge. »Ich sollte zurückgehen.«
»Von wo da?«, fragt der Schafhirte. Sein eingesunkenes Auge blinzelt langsamer als das andere. Partridge wechselt den Fokus immer wieder zwischen den beiden.
»Einem Vorort«, sagt Partridge und wendet sich ab, um den gleichen Weg zurückzugehen, auf dem er gekommen ist. »Danke für das Wasser.«
»Hab vor Kurzem wen verloren. Meine Frau«, sagt der Mann. »Sie ist befallen, frisch gestorben. Ich brauch wen hier. Die Arbeit ist für mehr als einen.«
Partridge sieht zu den Schafen im Pferch. Eines der Tiere hat einen Huf, der aussieht wie ein Spaten – ein rostiger, verbeulter Spaten. Es scharrt damit in der Ecke. »Ich kann nicht.«
»Du bist nich normal, hab ich recht?«
Partridge rührt sich nicht. »Ich muss zurück.«
»Wo sin’ deine Narben? Womit bist du verschmolzen? Ich seh nichts an dir.«
Der Mann hebt seinen Stock und zeigt damit auf Partridge. Partridge kann die Narben in seinem Gesicht jetzt deutlich erkennen, Narben über Narben.
»Halt still«, sagt der Mann langsam.
Partridge dreht sich um und rennt davon. Seine Codierung setzt ein, macht ihn schnell, die Bewegung seiner Arme und Beine gleichmäßig wie die Kolben
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