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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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umgestürzten Postkasten versteckt, der vor langer Zeit aufgebrochen und ausgeräumt worden war. Sie hat noch immer das Bild vor Augen, wie sie den Leichnam der Mutter in die Luft geworfen hatten, nachdem sie zu Tode geprügelt worden war, und dass sie das Baby getreten hatten wie einen Ball.
    Pressias Fuß verhakt sich am Bordstein, sie stürzt und rutscht über den Beton. Ihre Handfläche brennt, der Puppenkopf schmerzt. Sie sieht Partridges Stiefel und die feuchten Hosensäume vor sich anhalten und kehrtmachen. Sie versucht sich aufzurappeln, doch sie macht den Fehler, sich erneut nach den Jägern umzusehen. Das viele nasse Blut auf den nackten Körpern macht ihr furchtbar Angst. Sie strauchelt.
    »Hier lang!«, ruft Bradwell. Er hat nicht gesehen, dass sie hingefallen ist. Er springt über eine niedrige, verwitterte Steinmauer in der Nähe des herabgestürzten Kirchturms.
    Die Jäger kommen näher. Der Anführer hat sie fest im Blick.
    Und dann wird sie hochgerissen, und in ihrem Gesicht ist plötzlich Wind. Die Socke über ihrer Puppenkopfhand bleibt an irgendwas hängen und ist weg. Sie wird hochgehoben, die Puppenfaust ist ungeschützt, und sie hört Partridge sagen: »Keine Angst. Wir haben es gleich geschafft. Wir sind fast da.«
    Sie will nicht, dass der Reine sie rettet. Ausgerechnet. »Nein!«, sagt sie. »Mir geht es gut. Lass mich runter!«
    Er antwortet nicht, sondern packt sie fester, und sie weiß, wenn er sie losließe, würden die Jäger über sie herfallen. Trotzdem boxt sie ihn mit der Puppenkopffaust in die Rippen. »Ich meine das ernst! Lass mich runter!« In ihrer von Panik verengten Sicht sieht sie, wie Bradwell ein Stück altes schmiedeeisernes Gitter anhebt, das über einer Öffnung im Boden liegt. In der Öffnung ist eine Treppe nach unten zu sehen. Sie schließt die Augen, als Partridge sie noch fester packt und die Treppe hinunterspringt.
    Sobald seine Füße den festen Boden berühren, versetzt sie ihm einen Stoß und er lässt sie runter. Ohne die Socke auf ihrem Puppenkopf fühlt sie sich irgendwie nackt. Sie zieht den Pulloverärmel darüber, so weit es geht, und setzt sich hin. Mit angezogenen Knien hockt sie da, den Puppenkopf in ihrem Schoß versteckt. Es ist so dunkel, dass sie kaum was sehen kann.
    »Entschuldige«, sagt Partridge. »Ich musste dich tragen. Ich musste, sonst …«
    »Hör auf dich zu entschuldigen!«, fährt sie ihm über den Mund, während sie sich die Rippen reibt, wo er sie so fest gepackt hat. »Du hast mich gerettet. Gib mir nicht das Gefühl, ich müsste dir dafür auch noch verzeihen.« Das ist alles, was sie dazu sagen kann.
    Sie sitzen auf dem Boden, Pressia zwischen Bradwell und Partridge, mit dem Rücken an der kalten Wand. Sie kauern in einer Ecke gegenüber den Stufen, und niemand rührt sich. Sie kann nicht glauben, dass Partridge sie einfach so hochgehoben hat. Wann ist sie das letzte Mal von jemandem getragen worden? Sie erinnert sich, dass ihr Vater sie in einen Mantel gewickelt und in den Armen herumgetragen hat. Sie vermisst ihn. Das Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
    Der Raum ist klein und feucht. Langsam gewöhnen sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie stellt fest, dass sie nicht wirklich allein sind. An der gegenüberliegenden Wand, in einer Nische, sitzt eine steinerne Gestalt – die Statue eines Mädchens auf einem länglichen, steinernen Kasten, der wie ein Sarg aussieht und hinter einer Wand aus Plexiglas steht, das zwar gesprungen, aber ansonsten intakt geblieben ist. An der Wand klebt eine Plakette, doch sie ist zu weit weg, um sie lesen zu können. Die Statue hat langes, über die Schultern fallendes Haar und trägt ein einfaches langes Kleid. Ihre perfekten, anmutigen Hände liegen gefaltet im Schoß. Sie sieht einsam aus, abgeschnitten von der Welt. In ihren Augen ist etwas zutiefst Sorgenvolles, Trauriges, als hätte sie ebenfalls geliebte Menschen verloren, doch zugleich scheint sie erwartungsvoll den Atem anzuhalten.
    Die Sprechgesänge werden lauter, das Stampfen der Stiefel kommt näher. Pressia zieht den Ärmel ihres Pullovers noch weiter über den Puppenkopf. Partridge sieht es. Vielleicht will er fragen, warum sie das macht, doch jetzt ist nicht die Zeit dafür. Die Jäger sind jetzt genau über ihnen. Die Stiefel sind so laut und überall zugleich, dass kleine Bröckchen von der Decke rieseln.
    Hier kommen Leute zum Beten hin. Bradwell hatte recht. Auf dem Rand der Nische und vor dem Plexiglas bemerkt Pressia die

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