Memento - Die Überlebenden (German Edition)
Namen!«
»Partridge«, sagt er und beugt sich in Richtung des verhangenen Fensters. »Partridge Willux.«
»Willux?«, fragt die Stimme überrascht. Anscheinend ruft der Name bei jedem eine Reaktion hervor.
»Wir haben zehn-vierundfünfzig Lombard Street gewohnt«, sagt er drängend. »Ich habe ein Foto dabei.«
Hinter der Plane kommt eine alte, klauenartige Hand hervor. Sie ist metallisch und rostig.
Partridge will das Foto nicht hergeben. Es ist das einzige, das er hat. Aber er tut es.
Es wird mit spitzen Fingern gepackt, dann verschwindet die Hand.
Der Morgen dämmert, wird ihm bewusst. Die Sonne schiebt sich über den Horizont.
In diesem Moment wird die Plane angehoben, sehr langsam, und gibt den Blick auf das Gesicht einer alten Frau frei – blass und bedeckt von Glasscherben. Sie gibt Partridge das Foto wortlos zurück, doch ihre Augen wirken fern, seltsam. Sie sieht aus wie von Erinnerungen geplagt.
»Haben Sie sie gekannt?«, fragt Partridge.
Die alte Frau sieht die Straße hoch und runter. Sie bemerkt Bradwell in den Schatten und tritt zurück. Sie senkt die Plane ein wenig, dann sieht sie Partridge tief in die Augen. »Ich will dein Gesicht sehen«, sagt sie.
Partridge blickt Pressia fragend an. Sie schüttelt den Kopf.
»Ich kann dir helfen«, sagt die alte Frau. »Aber zuerst muss ich dein Gesicht sehen.«
»Warum?«, fragt Pressia und tritt näher. »Sag einfach, was du weißt. Die Informationen sind wichtig für ihn.«
Die Alte schüttelt den Kopf. »Ich muss sein Gesicht sehen.«
Partridge zieht den Schal herunter.
Die Alte mustert ihn und nickt. »Genau, wie ich’s mir dachte.«
»Was soll das heißen?«, fragt Partridge.
Die Frau schüttelt den Kopf.
»Sie haben gesagt, Sie würden mir die Informationen geben, wenn ich Ihnen mein Gesicht zeige. Das habe ich getan.«
»Du siehst aus wie sie«, sagt die alte Frau.
»Wie meine Mutter?«, fragt Partridge.
Die Alte nickt. Der Sprechgesang wird immer lauter. Pressia zupft an Partridges Ärmel. »Wir müssen los!«
»Lebt sie noch?«, fragt Partridge.
Die alte Frau zuckt die Schultern.
Bradwell pfeift. Sie haben keine Zeit mehr. Partridge kann die Schritte der Miliz hören, das Geräusch zahlreicher schwerer Stiefel, die Stimmen, die sich im Gleichklang heben und senken. Die Luft scheint zu vibrieren.
»Haben Sie sie nach den Explosionen gesehen?«, fragt Partridge.
Die alte Frau schließt die Augen und flüstert etwas kaum Verständliches.
Pressia zieht an Partridges Ärmel. »Wir müssen los! Sofort!«
»Was haben Sie gesagt?«, ruft Partridge der alten Frau zu. »Haben Sie sie gesehen oder nicht? Hat sie die Bomben überlebt?«
Endlich hebt die alte Frau den Kopf. »Er hat ihr das Herz gebrochen«, sagt sie. Und dann schließt sie die Augen und fängt laut an zu singen – eine schrille, gequälte Melodie, als wollte sie auf diese Weise alles andere um sich herum ausblenden.
PRESSIA
Sarkophag
Pressia rennt, so schnell sie kann. Vor ihr läuft Bradwell mit raschelnden Flügeln im Rücken. Partridge rennt mit wehendem Mantel neben ihr her. Sie weiß, dass er viel schneller laufen kann, als er es tut – besonderes Training in der Akademie, auch wenn er kein perfektes Exemplar ist –, doch sie nimmt es als gutes Zeichen, dass er bei ihr bleibt. Vielleicht hat er begriffen, wie sehr er sie braucht. Die Sprechgesänge hallen durch die Straßen und Gassen, gelegentlich durchbrochen von einem schrillen Schrei.
»Wieder unter die Erde?«, ruft Pressia Bradwell nach.
»Nein!«, erwidert er. »Sie sind auch in den Tunneln.«
Pressia sieht sich um und erblickt den Anführer des Teams. Sein Oberkörper ist nackt, Arme und Brust besudelt mit Blut über Metall. Die Haut in seinem Gesicht ist höckerig und glänzt. Einer seiner Arme ist verkrüppelt und wie angewachsen vor der Brust, der andere ist furchterregend muskulös. Um die Knöchel trägt er einen Verband, der mit Glasscherben gespickt ist. Kann sein, dass er ein OSR-Soldat ist, den sie auf Patrouille gesehen hat, doch wenn es so ist, erkennt sie ihn nicht.
Er ist der Anführer des Trupps und bildet die Spitze eines Keils. Die anderen fächern hinter ihm in loser Formation aus. Hinter dem Keil läuft ein Einpeitscher, der bestimmt, wann es an der Zeit ist auszuschwärmen und einen sich zuziehenden Kreis um das vorgesehene Opfer zu bilden. Pressia hat einmal gesehen, wie eine Frau mit ihrem Baby bei einem Kesseltreiben angegriffen wurde. Sie hatte sich in einem alten
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