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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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vorführte. Überrascht, aber unsicher sagte sie danach: «Du hast gut getanzt aber auf der Bühne wirst du Lampenfieber bekommen -, und du hast auch keine Kostüme.»
      «Sie haben doch einen ganzen Raum mit Kostümen», sagte ich, «da finden Sie bestimmt etwas für mich.»

      Und wirklich fanden wir ein paar hübsche, passende Kostüme. Erst als das alles so überraschend schnell vor sich gegangen war, fiel mir mein Vater ein. Es wäre aussichtslos gewesen, seine Genehmigung zu erhalten. Aber meine Mutter und ich fanden einen Ausweg: Freunde unserer Familie organisierten einen Skatabend. Außer meiner Mutter wurde nur mein kleiner Bruder eingeweiht; als Zuschauer sollte er mein erstes öffentliches Auftreten miterleben. Das Publikum setzte sich zum größten Teil aus Verwandten und Freunden der Tanzschülerinnen zusammen.
      Ich zitterte vor Ungeduld vor meinem ersten Auftritt. Lampenfieber hatte ich merkwürdigerweise nicht. Im Gegenteil, als endlich das Zeichen für mich kam, schwebte ich beglückt über die Bühne - und es kam mir vor, als hätte ich das schon immer getan. Der Beifall war so stark, daß ich meine Tänze wiederholen mußte.
      Nach diesem Abend war ich vor Glück wie betäubt, ich fühlte, daß nur dies meine Welt sein würde. Aber dieses Glücksgefühl war von kurzer Dauer.

    Der große Krach

    E in Bekannter unserer Familie hatte mich in der Vorstellung gesehen und gratulierte ahnungslos meinem Vater zu seiner begabten Tochter. Erst jetzt erkannte ich die Tragweite der Krise, die mein Wunsch, zur Bühne zu gehen, auslösen würde.
      Es gab einen furchtbaren Krach. Mein Vater war zum äußersten Widerstand entschlossen. Seine erste Reaktion: Er beauftragte einen Rechtsanwalt, um sich von meiner Mutter scheiden zu lassen; sie hatte mich unterstützt und heimlich meine Kostüme genäht. Mir war es unerträglich, meine Mutter leiden zu sehen. Ich kämpfte mit mir Tag und Nacht, bis ich entschlossen war, auf meine Träume, meine Sehnsüchte zu verzichten.
      Das wochenlange Schweigen meines Vaters wurde unerträglich, bis mir endlich eine Aussprache mit ihm gelang. Ich flehte ihn an, die Scheidung zurückzunehmen, und schwor, daß ich meinen Wunsch, zur Bühne zu gehen, begraben würde. Aber er traute mir nicht. Sein Befehl lautete: «Du kommst in ein Pensionat, ich habe dich schon angemeldet, in Thale im Harz.»
      Meinen Bemühungen, dieser Pensionatszeit auszuweichen, kam eine Krankheit zu Hilfe. Seit meinem dreizehnten Jahr litt ich an Gallenkoliken, und als ich nun wieder einige Tage schwere Anfälle bekam, konnte ich meinen Vater überzeugen, daß ich unmöglich die
Obhut des Elternhauses entbehren könnte. Er sah, wie ich litt, er wußte, daß ich mich danach verzehrte, eine Schauspielschule zu besuchen, aber für ihn waren Schauspielerinnen Halbweltdamen. Mein armer Vater litt selbst so stark, daß er kaum fröhlich war. Er fing an, mir leid zu tun, denn ich wußte, wie sehr er mich liebte. Immer mehr wurde mir bewußt, daß meinetwegen das Leben einer ganzen Familie zerstört wurde. Mein Bruder liebte mich und litt mit mir. Wir lebten unter einem Alpdruck - ein unerträglicher Zustand.
      Immer wieder fragte ich mich unter Zweifeln und Tränen, ob ich ein Recht besäße, durch meine Wünsche vier Menschen unglücklich zu machen. Mein kleiner Bruder war ja auch ein Opfer.
      So eröffnete ich meinem Vater eines Tages, ich wollte ihm zuliebe die Malerei erlernen. Erst sah er mich mißtrauisch an, dann atmete er etwas auf, und schon am nächsten Tag meldete er mich zur Aufnahmeprüfung in der Staatlichen Kunstgewerbeschule in der PrinzAlbrecht-Straße an. Lustlos ging ich zu dieser Prüfung. Über hundert Personen, männlichen wie weiblichen Geschlechts, waren da zusammengekommen. Wir mußten einige Aktzeichnungen machen, Porträts und etwas Selbstgewähltes. Nur zwei Anwärter bestanden die Prüfung, der eine war ich, aber Freude empfand ich trotzdem nicht - eigentlich nur Trauer, denn gerade diese Auszeichnung bedeutete wohl für immer das Ende meiner Zukunftsträume.
      Von nun an besuchte ich täglich die Zeichenschule. In dieser Zeit bemächtigte sich meiner eine immer stärker werdende Schwermut. Mein Vater konnte das nicht übersehen.

    Pensionat Thale/Harz

    I nzwischen hatte mein Vater sich aus allen möglichen Himmelsgegenden Prospekte von Mädchen-Pensionaten schicken lassen und (ohne etwas davon zu sagen) das Pensionat «Lohmann» in Thale im Harz

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