Memoiren 1902 - 1945
mit Blumengeschenken verwöhnten. Überrascht stellte ich fest, daß mein Vater, der mir nie erlaubt hatte, Kontakte mit männlichen Wesen anzuknüpfen, daran Gefallen fand. Der Grund war, so vermutete ich, daß diese so verschieden aussehenden Kavaliere vielleicht sehr wohlhabend waren. Der Schwarzhaarige war ein Chilene, der, wie mein Vater erfuhr, Silberminen besaß und einer der reichsten Männer seines Landes sein sollte, der andere ein blonder spanischer Aristokrat, der mit seiner Dienerschar eine ganze Hoteletage gemietet hatte. Ich ahnte, daß mein Vater sich den einen oder den anderen gut als Schwiegersohn vorstellen konnte.
Aber verliebt war ich in keinen. Als mein Vater mich fragte, wie mir denn meine Verehrer gefielen, und ich ihm sagte, «ganz gut, aber heiraten würde ich keinen», schien er schwer enttäuscht. Er runzelte die Stirn und sagte: «Wie kannst du nur so dumm daherreden, wer hat denn schon solche Verehrer?» Jedenfalls, so kam es mir vor, war mein Vater anscheinend von dem Reichtum und dem Auftreten dieser Männer geblendet und wollte mich unter die Haube bringen. Ich war inzwischen schon fast neunzehn. Meine Mutter verhielt sich neutral.
Unser Aufenthalt erfuhr eine unvorhergesehene Wendung. Mitten im Spiel mit meinem chilenischen Partner erlitt ich eine so heftige Gallenkolik, daß ich mich vor unerträglichen Schmerzen am Boden herumwälzte. Zum Bewußtsein kam ich erst, als ich in einen Operationssaal gefahren wurde. Man hatte mir eine Spritze gegeben, bevor man mich in die Klinik nach Gießen brachte. Dort wurde mir die Gallenblase herausgenommen. Damals noch eine seltene Operation. Als ich in einem freundlichen, hellen Zimmer erwachte, lagen auf dem Nachttisch die Gallensteine, zwei davon waren so groß wie Walnüsse. Von der Narkose noch benommen, erkannte ich meine
Mutter und - ich konnte es nicht fassen - Walter Lubowski -, den Jungen, den wir in der Turnstunde als Mädchen verkleidet hatten und den sein Vater darum verstoßen hatte. Ich schloß schnell die Augen, denn ich glaubte, eine Fata Morgana gesehen zu haben. Aber es war keine. Jeden Vormittag erschien nun Walter und saß stumm neben meiner Mutter an meinem Bett. Ab und zu hörte ich ihn meinen Namen flüstern. Trotz des Drängens meiner Mutter, die Klinik nach der Besuchszeit zu verlassen, blieb er da. Erst bei Dunkelheit sprang er vom Balkon meines Zimmers im ersten Stock, da die Haupttür der Klinik schon geschlossen war. Meine Mutter schien Mitleid mit dem verrückten Jungen zu haben, mir wurde er langsam unheimlich.
Schon nach einer Woche durfte ich die Klinik verlassen. Wir fuhren nach Hause, nicht in die Yorkstraße, sondern nach Zeuthen, wo mein Vater inzwischen ein Haus mit Garten erworben hatte. Das Grundstück hatte einen herrlichen Baumbestand und lag unmittelbar am Zeuthener See. Das Ufer umstanden Trauerweiden, die ich neben Birken und Lärchen am liebsten hatte. Ich war von dem neuen Haus begeistert, vor allem von dem Ruder- und Segelboot. Allerdings brauchten wir täglich eineinhalb Stunden, um in das Geschäft meines Vaters zu kommen. Zur Bahnstation mußte man zehn Minuten durch einen Wald gehen - die Eisenbahnfahrt dauerte vierzig Minuten bis zum Görlitzer Bahnhof. Von dort lief man noch mal zehn Minuten zur Hochbahn, mit der wir dann, mit Umsteigen am Gleisdreieck, zum Wittenbergplatz fuhren. Von dort nochmals zehn Minuten zu Fuß bis zur Kurfürstenstraße, zum Büro meines Vaters. Das war der Preis, den wir für das schöne Wohnen in Zeuthen zahlen mußten, aber der Weg wurde mir nie zuviel.
Schon wenige Tage, nachdem ich die Klinik hinter mir hatte, durfte ich den Tanzunterricht wieder aufnehmen. Ich war froh, nun endlich von den Gallenkoliken befreit zu sein, die mich schon seit ein paar Jahren immer wieder befallen hatten.
Hinauswurf aus dem Elternhaus
I rgend etwas stimmte nicht mit meinem Vater. Seit wir aus Nauheim zurück waren, sprach er kaum ein Wort mit uns. Wir hatten keine Ahnung, was die Ursache sein konnte. Geschäftlich hatte er Erfolg, sonst hätte er doch das Haus in Zeuthen nicht kaufen können. Meine Mutter und mein Bruder, nicht einmal ich, gaben ihm den gering sten Anlaß zu Ärger oder Verdruß. Wir standen vor einem Rätsel. Wenn ich mit ihm in der Eisenbahn saß, las er seine Zeitung - mit mir sprach er kein Wort. Wir alle litten unter diesem Zustand, aber ich wagte nicht, meinen Vater nach der Ursache seines merkwürdigen Verhaltens zu fragen.
In
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