Memoiren 1902 - 1945
aber die Leidenschaft, mit der Hitler von der ausschließlichen Wahrheit seiner Ansichten überzeugt schien, und die Inbrunst, mit der er versuchte, seine Zuhörer zu beeinflussen, ließen mich die Gefahr ahnen, die von seiner Suggestivkraft ausging.
Zum ersten Mal erlebte ich bewußt, wie sehr Hitler sich täuschen konnte. Seit diesem Tag habe ich mir Hitlers Reden immer kritischer angehört, konnte mich jedoch erst wenige Monate vor Kriegsende ganz von ihm lösen. Als Hitler aber kurz vor dem makabren Untergang Deutschlands vor der zerschossenen Reichskanzlei in Berlin Kinder als «tapfere Soldaten» mit dem Eisernen Kreuz dekorierte, habe ich ihn gehaßt.
Die Guglia di Brenta
I m August 1937 war die Arbeit am Bildschnitt des ersten Teils des Olympiafilms, den ich «Fest der Völker» nannte, abgeschlossen. Seine Laufzeit betrug zwei Stunden. Nun gönnte ich mir einen Urlaub in den Bergen. Ich hoffte auf die Erfüllung eines Wunschtraums, die Besteigung der Guglia, dieser spitzen Felsnadel in der Brentagruppe, die in dem Fanckfilm «Berg des Schicksals» eine Hauptrolle gespielt und mein Leben verändert hatte.
Seitdem habe ich oft von der Guglia geträumt. Sie zog mich unwiderstehlich an. Nun wollte ich mit Hans Steger, einem der besten Bergführer in den Dolomiten, den Versuch einer Besteigung machen. Er war bereit, mich auf die Guglia zu führen.
Bei meiner Ankunft in Bozen erwartete mich eine Enttäuschung. Im Hotel Greif, wo wir uns treffen wollten, lag ein Telegramm vor, in dem Steger bedauerte, nicht kommen zu können; der belgische König Leopold, mit dem er schon seit Jahren Klettertouren machte, würde früher kommen als vorgesehen. Er schlug mir vor, mit seinem Freund Anderl Heckmair, einem ausgezeichneten Bergführer, zu klettern.
Ich habe es nie bereut, daß ich Heckmair, den Erstbezwinger der Eiger Nordwand, kennenlernte. Mit ihm habe ich meine abenteuerlichsten Klettertouren erlebt. Schon beim ersten Händedruck war er mir sympathisch. Seine Art war zwar etwas rauh, aber ich spürte sofort sein aufrichtiges Wesen. Er hatte den Ruf, einer der tollkühnsten Bergsteiger zu sein, aber bei den ersten Touren, die wir machten, erwies er sich als sehr vorsichtig und bedacht. Er kletterte mit der Sicherheit einer Katze, so daß ich jede Angst verlor. Unser dritter Mann am Seil war Xaver Kraisy, einer meiner Skikameraden.
Nachdem wir als Training erst leichtere Touren wie die Besteigung der Sellatürme, der Pordoi-Südwand und der Fünffingerspitze unternommen hatten, gingen wir nach Cortina. Dort erkletterten wir unter anderen Touren den Preußriß der kleinsten Zinne und seilten über den Dülferweg ab.
Wir hatten ausgesprochenes Wetterglück, und ich genoß das Klettern so sehr, daß ich Olympiafilm, Schneideraum und alles, was dazugehörte, völlig vergaß. In der Bergwelt war ich glücklich. Jeder Anstieg zu einer Felswand wurde zu einem neuen Erlebnis. Die aromatische Luft, die blühenden Almwiesen, die steilen Felswände haben unvergeßliche Eindrücke hinterlassen. Bei jeder Wand, die ich betrachtete, suchte ich nach einem möglichen Aufstieg. Auch an den steilsten Stellen bereitete mir das Klettern keine Mühe. Nicht ein einziges Mal bin ich ins Seil gefallen. Das Ballett- und Tanztraining war eine ideale Vorbildung für den Klettersport - Kraft in den Zehen und ein Gefühl der Balance hatte ich dabei gewonnen. Bevor wir als Krönung und letzte Tour die Guglia besteigen wollten, schlug Heckmair die Schleierkante als Vortraining vor. Wir erkletterten sie in einer Rekordzeit von nur drei Stunden. Nun zweifelte Anderl nicht mehr, daß ich auch die Guglia schaffen würde, und wählte sogar die schwerste Route, den Preußweg über die Ostwand.
Der aufregende Augenblick war gekommen. Wir standen vor der Guglia, leider verspätet, denn der Hüttenwirt hatte vergessen, uns zu wecken. Wir wollten sehr früh in die Wand einsteigen, um den Abstieg noch bei Tageslicht zu schaffen - nun stand die Sonne schon im Zenit. Eigentlich hätten wir jetzt auf die Tour verzichten müssen, aber es war unser letzter Tag.
Die ersten Seillängen gingen leicht, es gab da keine Probleme. Die schwierigste Kletterstelle befand sich im obersten Drittel der Wand. Sie hatte schon mehrere Todesopfer gefordert, auch «Preuß», nach dem diese Route benannt wurde, soll bei seinem Erstbesteigungsversuch an dieser Stelle umgekehrt sein.
Wir kletterten langsamer, als wir uns der gefährlichen
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