Memoiren 1902 - 1945
Weihnachtsfest waren alle Tonbänder geschnitten. Anfang Januar sollten die Musikaufnahmen und anschließend die Mischungen gemacht werden. Vor diesem letzten Arbeitsstreß konnten sich in den Feiertagen meine Mitarbeiter zum ersten Mal eine Woche Urlaub gönnen.
Silvester in St. Moritz
I n Fritz von Opels schönem Chalet in St. Moritz verbrachte ich Weihnachten und Silvester 1937/38. Ich kannte ihn durch Udet schon seit Jahren. Einmal hatte er mich zu einer Ballonfahrt eingeladen, meiner ersten und leider auch letzten. Wir starteten in Bitterfeld bei Abenddämmerung zu einem Nachtflug bei Vollmond. Ich bin viel mit Udet geflogen und habe mit ihm unvergeßliche Flüge im Hochgebirge und in Grönland zwischen Eisbergen erlebt. Aber dieser Ballonflug übertraf die Erlebnisse noch. Wir schwebten in vollkommener Stille. Oftmals flogen wir nur wenige Meter über den Wäldern, ab und zu drang Hundebellen herauf, sonst aber war es unwirklich still. Manchmal, wenn der Boden unserer Gondel die Baumwipfel streifte, warf Fritz von Opel einen Sandsack ab. Wenn ich an diese Ballonfahrt zurückdenke, ist dieses Erlebnis nur mit dem des Tauchens vergleichbar - bei beidem ist man der Wirklichkeit entrückt.
In St. Moritz traf ich meine Freundin Margot wieder, Fritz von Opels erste Frau, eine aparte Erscheinung und dazu eine liebenswürdige Gastgeberin mit Witz und Charme. Ihr Haus verriet viel Geschmack. Fast jeden Abend kamen Gäste, Margot war immer die Eleganteste. Bisher hatte ich nie Zeit gehabt, mich für Mode zu interessieren, hier aber, wo ich Margot täglich in einem anderen Abendkleid bewundern konnte, stieg zum ersten Mal der Wunsch in mir auf, auch so schöne Kleider zu tragen. Sie nannte mir ihren Salon, das Modehaus Schulze-Bibernell, das später auch für mich arbeitete. Ich habe nie einen Couturier kennengelernt, der schönere Kreationen entwarf als Heinz A. Schulze. Margot war auch eine leidenschaftliche Hunde-Liebhaberin. Sie besaß sechzehn der schönsten ChowChows. Wenn sie die Hunde auf Reisen mitnahm, was nicht selten vorkam, belegte sie zwei Bahnabteile. Mit einem ihrer Lieblingshunde erlebte sie etwas Trauriges. Ein chinesischer Diplomat, entzückt von Margots Hunden, erhielt von ihr einen zum Geschenk. Als sie sich einige Zeit später nach dem Befinden ihres Chow-Chow in China erkundigte, sagte der Chinese lächelnd: «Er hat köstlich geschmeckt.»
Silvester brachte für mich eine Überraschung. Josef von Sternberg hatte sich angesagt. Wir hatten korrespondiert, aber uns seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte Mal wenige Wochen vor der Machtübernahme Hitlers. Er wollte viel von mir wissen, vor allem über Hitler.
«Wie ist er wirklich?»
Wie oft wurde ich danach gefragt, und wie schwer war die Frage zu beantworten. «Ich weiß es nicht», sagte ich, «Hitler erscheint mir unergründlich und voller Widersprüche. Ungewöhnlich an ihm ist seine suggestive Kraft, die sogar seine Gegner umzustimmen vermag.»
«In Amerika meint man, du bist seine Geliebte, stimmt das?» Ich mußte lachen. «So ein Blödsinn», sagte ich, «wenn man von einem Mann bewundert wird, muß man doch nicht gleich ein Verhältnis mit ihm haben - ich bin auch nicht sein Typ, und er nicht meiner.»
«Ich habe es auch nicht geglaubt», sagte Sternberg, «die Presse schreibt viel, aber der Film, den du in seinem Auftrag gemacht hast, ‹Triumph des Willens›, ist große Klasse.»
«Wo hast du ihn denn gesehen?» fragte ich überrascht.
«In New York, im ‹Museum of Modern Art›.»
«Findest du den Film wirklich so gut?»
«Mädchen», sagte Sternberg, «der Film wird Filmgeschichte ma
chen - er ist revolutionär. Als wir uns kennenlernten», fuhr er fort, «wollte ich aus dir eine große Schauspielerin machen, dich formen wie Marlene, nun bist du eine große Regisseurin geworden.»
«Ich wäre aber lieber Schauspielerin und am liebsten unter deiner Regie. ‹Olympia› wird mein letzter Dokumentarfilm sein - es war für mich mehr eine Pflichtaufgabe, die ich nur mit halbem Herzen übernommen habe. Wenn das alles endlich einmal hinter mir ist», sagte ich, «werde ich frei sein und meinen Wunschtraum mir erfüllen können. Ich will die Penthesilea spielen und nie wieder einen Dokumentarfilm machen.»
Dann erzählte ich Sternberg von den Intrigen, denen ich ausgesetzt war, und den technischen Schwierigkeiten, die wir bei dem Olympiafilm hatten, von den Problemen der
Weitere Kostenlose Bücher