Memoiren 1902 - 1945
Seilknoten auf, und er flog frei durch die Luft.
Die Abenteuer dieser Tour waren damit noch nicht zu Ende. Als wir endlich mit der letzten Seillänge festen Boden unter den Füßen hatten, froh, dem Steinschlag entronnen zu sein, erwarteten uns neue Schwierigkeiten. Die tagsüber aufgefirnte, sehr lange und schmale steile Eisrinne war nachts hart gefroren wie Stein. Für jeden Schritt mußte eine Stufe geschlagen werden, und so ging es in unzähligen Zickzackwegen, die nicht enden wollten, abwärts. Abrutschen durfte keiner - wir wären unten an den großen Felsblöcken zerschellt. Wie von guten Geistern beschützt, erreichten wir das Ende der Rinne. Unsere Hände bluteten, aber bei der extremen Anspannung, in der wir uns befanden, fühlte man die Schmerzen kaum.
Obwohl wir nicht weit von unserer Hütte entfernt sein konnten,
fanden wir in der Dunkelheit nicht den Weg. Wir krochen auf allen vieren zwischen Steinblöcken und Geröll. Als es dann noch zu regnen begann, suchten wir Schutz unter einem Felsblock und schliefen dort erschöpft ein.
Beim Erwachen stellten wir fest, daß wir kaum hundert Meter von der Hütte entfernt biwakiert hatten. Ein strahlender Sonnentag war angebrochen, und mit der Sonne erschien alles nicht mehr so schlimm. Meine zerschundenen Finger konnten eine Woche lang keinen Kamm mehr halten, aber die Freude am Klettern war eher noch größer geworden. Noch nie habe ich mich so gesund und vital gefühlt wie nach dieser Tour.
Wieder im Schneideraum
W ie neu geboren, kehrte ich nach Berlin zurück. Alle seelischen Belastungen waren verschwunden, und ich konnte nachts wieder schlafen. Die Arbeit im Schneideraum fiel mir so leicht, daß ich den Schnitt des zweiten Teils meines Films in zwei Monaten bewältigte - für den ersten Teil hatte ich fünf Monate gebraucht. So konnte ich mit den Synchronisationsarbeiten früher beginnen als geplant und Herbert Windt schon mit dem Abstoppen für seine Musik beginnen. Als er mir seine Themen vorspielte, war ich beeindruckt. Es war wunderbar, wie er sich in die Olympische Atmosphäre eingefühlt hatte. Die Tempel und die Gesichter der Plastiken wurden lebendig. Überglücklich umarmte ich ihn. Zum ersten Mal fing ich an, an meinen Film zu glauben. Und nicht nur ich. Überraschend bekamen wir im Schneideraum Besuch von Dr. Goebbels, begleitet von seiner Frau und Frau v. Arent, der Gattin des bekannten Bühnenbildners. Glücklicherweise konnte ich einige Schnittrollen vorführen, allerdings noch ohne Ton. Goebbels war verblüfft, das hatte er nicht erwartet - er war begeistert, und wie es mir dieses Mal erschien, war seine Begeisterung echt.
Als nächstes kam die Arbeit mit den Sprechern. Zwei der bekanntesten Sportspecher des Rundfunks wurden verpflichtet, Paul Laven, und Rolf Wernicke. Die Technik hat sich seit damals sehr verändert. Die Arbeit - heute mit einem Magnetband ein Kinderspiel - war damals noch ein mühseliger Prozeß. Zur Zeit unserer Olympia-Aufnahmen befand es sich erst in der Entwicklung, man arbeitete nur mit Lichtton. Nur der Fachmann weiß, was dies bedeutet. Um den Ton abzuhören, mußte erst das Lichtton-Negativ entwickelt und von dem entwickelten Negativ ein Ton-Positiv hergestellt werden, ein Vor
gang, der mehrere Stunden, oft einen ganzen Tag in Anspruch nahm. Auch konnten fehlerhafte Aufnahmen nicht gelöscht werden - heute bei Magnetton eine Sache von Sekunden.
Nicht nur die Technik, auch die Sprechweise hat sich sehr verändert. Damals wurden sportliche Ereignisse mit großem Pathos gesprochen. Heute kommentiert man Sportereignisse sachlich. So wirkt die damalige Sprechweise heute komisch. Am schwierigsten gestaltete sich die Herstellung der Geräuschkulisse ohne Magnetbänder. Mit Ausnahme der kurzen Ansprache Hitlers wurde alles nachträglich synchronisiert. Das Atmen der Pferde, die Laufschritte der Sportler, das Aufschlagen von Hammer und Diskus, die Geräusche beim Rudern und Segeln, all das konnte nur auf Lichtton-Negativ aufgenommen werden, auch die Tonkulisse der Zuschauer, die dem Film erst die lebendige Atmosphäre vermittelt. Die Original-Tonaufnahmen, die wir im Stadion gemacht hatten, waren qualitativ nicht verwendbar, sie genügten nur für Wochenschauaufnahmen. Unsere Zu-schauer-Tonkulisse mußte fein nuanciert sein, vom leisesten Piano bis zum Fortissimo.
Sechs Wochen waren für diese Arbeit nötig, vier Toncutter haben sich dabei bemüht, beste Qualität zu erzielen. Vor dem
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