Memoiren 1902 - 1945
und hörte täglich bis zu vierzehn Stunden von früh bis nachts nur Töne ab. Oft zweifelte ich, ob ich überhaupt noch Urteilskraft und kritisches Vermögen besitze.
Vielleicht hätte ich diese Zeit nicht durchgestanden, wenn ich in unserem Tonmeister, Hermann Storr, nicht einen Freund gewonnen hätte. Er war nicht nur ein sehr sensibler Mann seines Fachs, der sich nur mit höchster Qualität zufriedengab, er hatte auch Verständnis für meine Ideen und für meine Natur. So vertiefte sich unsere Freundschaft. Als dann die letzte Tonmischung gelungen war, beschlossen wir, zusammenzubleiben.
Die verschobene Premiere
D ie «Tobis» informierte uns, daß die Premiere für Mitte März angesetzt wurde. Ich konnte aufatmen, endlich war es soweit. Würde der Film Erfolg haben? Ich wußte es nicht.
Da bis zur Premiere noch zwei Wochen Zeit war, mietete ich ein kleines Berghäuschen in Kitzbühel, um dort mit einigen meiner Mitarbeiter auszuspannen. Kaum waren wir angekommen, erreichte uns eine Hiobsbotschaft. Die «Tobis» teilte mir mit, das Propagandaministerium habe den Premierentermin auf unbestimmte Zeit verschoben. Das war niederschmetternd. Eineinhalb Jahre hatten wir, um früher fertig zu werden, Überstunden gemacht und die Nächte durchgearbeitet, einige meiner Mitarbeiter waren krank geworden, sie konnten das Arbeitstempo nicht durchstehen. Und nun sollte dies umsonst gewesen sein? In der Branche wurde ich verspottet, weil kein Mensch verstand, warum ich solange an diesem Film arbeitete. Selbst in den Cabarets am Kurfürstendamm machte man Witze über mich, und am hämischsten waren meine lieben «Freunde» im «Promi». Sie wünschten mir von ganzem Herzen den größten Reinfall meines Lebens.
Bald erfuhren wir, warum die Premiere abgesetzt worden war. Deutsche Truppen marschierten am 12. März in Österreich ein, und Hitler verkündete in Wien Österreichs Anschluß ans Deutsche Reich. Meine österreichischen Mitarbeiter waren vor Freude wie von Sinnen .
Wenn ich auch einsah, daß diese Ereignisse sich auf den Premierentermin ungünstig auswirkten, so wollte ich es nicht wahrhaben, daß die Uraufführung des Films bis zum kommenden Herbst verschoben werden sollte. Im Sommer würde kein Verleih einen guten Film herausbringen.
Meine Verzweiflung war so groß, daß ich auf die verrückte Idee kam, Hitler während seiner Fahrt durch Österreich an irgendeinem Ort zu treffen und ihn zu bitten, daß der Film doch noch im Frühjahr herauskommen könnte.
Ich fuhr mit der Bahn nach Innsbruck, wo Hitler erwartet wurde, und quartierte mich bei Bekannten ein. Alle Hotelzimmer waren belegt. Was ich in Tirol erlebt habe, mag heute unglaubhaft klingen, selbst wenn ich die Schilderung sehr abschwächen würde. Die Innsbrucker befanden sich wie in einem Taumel. In fast religiöser Ekstase streckten sich Arme und Hände Hitler entgegen. Ältere Männer und Frauen weinten. Der allgemeine Jubel war schlechthin unvorstellbar.
Durfte ich in dieser Situation Hitler mit meinen persönlichen Angelegenheiten behelligen? Unsicher, was ich tun sollte, stand ich lange vor der Absperrung des Hotels «Tiroler Hof». Es war schon Abend, aber immer noch standen Menschenmassen auf dem Platz und riefen nach Hitler, der sich ab und zu am Fenster zeigte.
Es war kalt, und ich fing an zu frösteln. In einem günstigen Augenblick gelang es mir, durch die Absperrung in die Hotelhalle zu kommen. Auch hier wimmelte es vor Menschen. Irgendwie kam ich doch zu einem Sitzplatz. Die Unsinnigkeit meines Vorhabens wurde mir immer klarer, und ich bereute es schon, mich auf diesen törichten Versuch eingelassen zu haben.
Da entdeckte mich Schaub, der mich ziemlich entgeistert fragte: «Was machen Sie denn hier?» Ohne eine Antwort abzuwarten, sagte er unwirsch: «Der Führer ist heute nicht zu sprechen», und schon war er verschwunden. Er bestätigte mir die Torheit meines Unternehmens. Da erschien Schaub nach einiger Zeit wieder, diesmal etwas freundlicher: «Kommen Sie bitte mit», sagte er.
Nun bekam ich einen Schreck. Was sollte ich Hitler erzählen - mein Mut hatte mich verlassen, in dieser Situation ungeheurer patriotischer Begeisterung von meinen privaten Sorgen zu sprechen.
Als Schaub an die Tür klopfte, kam ein Gruppenführer aus dem Zimmer. Ich kannte ihn nicht. Hitler befand sich in euphorischer Stimmung, kam auf mich zu und sagte, mir beide Hände reichend: «Eine Freude, daß Sie diese
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