Memoiren 1902 - 1945
einzige Freude war die Post, die von der Front kam. Ich hatte schon Bündel von Briefen erhalten.
Nach einem Monat wurde ich aus dem Sanatorium entlassen. Ich war so krank, wie ich gekommen war. Professor Kielleuthner wollte mich noch einmal untersuchen. Bevor in seiner Klinik ein Bett frei wurde, wohnte ich im Hotel «Rheinischer Hof» gegenüber dem Hauptbahnhof. Dort erhielt ich überraschend einen ungewöhnlichen Besuch: Hitler. Seit Danzig hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Von seiner Wirtschafterin Frau Winter hatte er von meiner Krankheit und meinem Aufenthalt in München erfahren. Hitler war unterwegs nach Wien, wo er, wie er sagte, den Dreimächtepakt mit Jugoslawien unterzeichnen wollte.
«Was machen Sie für Sachen!» sagte er, nachdem er mir Blumen überreicht hatte. Er sprach mir Mut zu und bot mir an, mich von seinem Arzt Dr. Morell behandeln zu lassen. Mein Zustand ließ es nicht zu, mir alles zu merken, wovon Hitler sprach. Einiges ist mir haftengeblieben. Ich erinnere mich, Hitler sprach davon, sich von der Politik zurückziehen zu wollen, sobald der Krieg beendet war, daß ihm aber die Frage der Nachfolge große Sorgen bereite.
«Keiner meiner Leute», sagte er, «besitzt die Fähigkeit, die Führung zu übernehmen. Deshalb müßte diese Aufgabe ein Gremium erhalten, das aus Personen meines Führungsstabs gebildet wird.» Namen nannte er nicht. Sprachlos war ich, als er sagte, er wollte mich nach Kriegsende auf den Berghof einladen, um mit mir Filmmanuskripte zu schreiben. Erst glaubte ich, es sei ein Scherz, aber es war sein Ernst. Er sprach ausführlich darüber, wie wichtig gute Filme seien, und sagte: «Wenn sie genial gestaltet würden, könnten Filme die Welt verändern.» Dabei begeisterte er sich für ein Thema, das ihm anscheinend besonders am Herzen lag - die Geschichte der Katholischen Kirche. Er geriet fast in Ekstase, als er über dieses Thema sprach.
«Es wäre fantastisch», sagte er, «wenn man heute Filme aus der Vergangenheit sehen könnte, Filme über Friedrich den Großen, über Napoleon und die historischen Ereignisse aus der Zeit der Antike.» Er unterbrach seine Rede und schien über etwas nachzudenken, dann fuhr er fort: «Wenn Sie wieder gesund sind, Fräulein Riefenstahl, können Sie mir einen großen Dienst erweisen. Setzen Sie sich bitte mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin in Verbindung und besprechen Sie dort mit den hervorragenden Wissenschaftlern und Forschern dieses Problem. Ich könnte mir ein Filmmaterial aus feinstem Metall vorstellen, das sich weder durch Zeit noch durch Witterungseinflüsse verändern und Jahrhunderte haltbar sein kann. Stellen Sie sich vor, wenn in tausend Jahren die Menschen sehen könnten, was wir in dieser Zeit erleben.» Hitler redete, als sei der Krieg schon beendet und wir lebten wieder im Frieden.
Als er sich verabschiedete, hatte der Optimismus, der von ihm ausging, seine Wirkung auf mich nicht verfehlt.
Die nächsten Tage verbrachte ich im Josephinum, einer Münchner Privatklinik, wo mich katholische Ordensschwestern liebevoll betreuten. Das Untersuchungsergebnis war deprimierend. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich wieder mit meinem Paket von Medikamenten und Tees in das Berghäuschen auf dem Hahnenkamm zurückzuziehen. Die Krankheit verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Die Anfälle kehrten immer wieder, die Schmerzen waren oft unerträglich. In diesem hoffnungslosen Zustand wurde mir ein homöopathischer Arzt aus München empfohlen. Als er mich besuchte, konnte ich mir schwer vorstellen, daß er mir helfen könnte. Sein Aussehen war so alltäglich. Ein kleiner Mann mit rundlichem Gesicht, der ebensogut ein Bäcker oder ein Gastwirt sein konnte. Aber ich irrte mich. Keineswegs ist der erste Eindruck immer der richtige.
Mit Hilfe einer kurzen Augendiagnose stellte er meine Krankheit exakt fest und schlug mir eine Akupunkturbehandlung vor. Ich willigte sofort ein. Als ich die langen Nadeln sah, die er mir tief in den Leib steckte, wurde mir schwindlig. Merkwürdigerweise verspürte ich kaum einen Schmerz. Dann rieb er flüssige homöopathische Mittel in die Armvenen. Und - wie ein Wunder - die Schmerzen ließen nach.
Auch am nächsten Morgen war ich noch immer schmerzfrei. Die vergangenen schrecklichen Monate erschienen mir wie ein böser Spuk. Um völlig geheilt zu werden, hätte ich drei Monate in München zur Behandlung bei Herrn Reuter bleiben müssen. Übrigens war er, was ich damals
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