Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
das kosten! Ich hätte Liebe vortäuschen und Theaterspielen müssen - das konnte ich nicht und wollte ich nicht.
      «Hertha», sagte ich impulsiv, «wir nehmen den nächsten Zug nach Berlin.» Ich schrieb einige tröstende Abschiedszeilen an Sokal, bat um Verständnis und verließ mit meiner Freundin fluchtartig das Hotel.
      Im Eisenbahnabteil umarmte ich Hertha und sagte: «Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich nach dieser Entscheidung bin. Nun bin ich wieder ein freier Mensch.»

    Das Unglück in Prag

    M ein nächster Tanzabend in Prag, in einem dreitausend Personen umfassenden Saal, in dem vorher nur Anna Pawlowa getanzt hatte und der bis auf den letzten Platz ausverkauft war, wurde zu einem Triumph, aber vielleicht auch zu meinem letzten. Während ich aufder Bühne einen meiner artistischen Sprünge ausführte, knackste es im Knie, und ich spürte einen so stechenden Schmerz, daß ich nur mit Mühe zu Ende tanzen konnte.
      Noch war es zu früh, um die Schwere dieses Unfalls zu ahnen. Die Schmerzen wurden immer stärker. Nur mit letzten Willenskräften konnte ich noch einige Tanzabende durchstehen, doch dann ging es nicht mehr. Ich mußte alle Veranstaltungen absagen und mehrere Ärzte konsultieren.
      Zuerst besuchte ich den damals berühmten Orthopäden Professor Lexer in Freiburg. Seine Diagnose: Bänderzerrung - Operation nicht möglich - viel Ruhe. Ich war verzweifelt und reiste nach München zu dem ebenfalls bekannten Professor Lange. Er stellte dieselbe Diagnose. Keiner der beiden konnte mir sagen, wie lange ich aussetzen müßte und ob die Schmerzen wieder weggehen würden.
      Ich begann an den Diagnosen zu zweifeln und konsultierte in Holland und Zürich einige andere international anerkannte Spezialisten. Aber auch sie wußten keinen Rat. Alle verordneten mir Ruhe und nochmals Ruhe.
      Ich war hilflos. Von heute aus gesehen klingt es völlig unglaubhaft, daß orthopädische Spezialisten, es war das Jahr 1914, und 30 Jahre vorher waren die X-Strahlen entdeckt worden, keine Röntgenaufnahmen machen ließen. Und von der Diagnose meines Zustandes hing meine Laufbahn als Tänzerin ab. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen, daß die Schmerzen im Knie wieder vergehen.
      Während dieser unglücklichen Zeit, in der ich mich nur mit Hilfe eines Stockes bewegen konnte, hatte sich Otto Froitzheim sehr um mich gekümmert. Obgleich wir uns vor meinem Unfall wegen meiner vielen Gastspiele nur selten treffen konnten, bestand er auf einer offiziellen Verlobung. Er hatte mich seiner Mutter, die in Wiesbaden lebte, vorgestellt und schon begonnen, Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen. Ich hatte in alles eingewilligt. Er besaß immer noch große Macht über mich, ich konnte ihm in seiner Gegenwart nicht widersprechen. Innerlich war ich fest entschlossen, ihn nicht zu heiraten - ich wußte, daß wir nur unglücklich werden würden.

    «Berg des Schicksals»

    D a trat etwas Unerwartetes ein, das mein Leben völlig veränderte. Es war im Juni, wenige Tage nach dem Pfingst-Tennis-Turnier, in dem Froitzheim wie immer erfolgreich gespielt hatte. Er war jede freie Stunde mit mir beisammen gewesen und war nun wieder abgereist. Ich stand ein wenig abgehetzt allein auf dem hochgelegenen Bahnsteig der U-Bahn am Nollendorfplatz, auf dem Weg zu einem Arzt, einem Freund meines Vaters, kein Orthopäde, aber ein hervorragender Internist. In ihm sah ich meine letzte Hoffnung. Ungeduldig wartete ich auf den nächsten Zug, der nicht kommen wollte. So eilig hatte ich es, daß mir die wenigen Minuten, die ich warten mußte, wie Stunden vorkamen. Meine Augen schweiften über die Plakate hin, die an den Wänden des Bahnsteigs klebten - Ankündigungen, Reklamen. Ich nahm sie nur oberflächlich wahr, meine Gedanken waren woanders, sie überflogen die letzte Zeit. Vor sechs Monaten hatte ich in München meinen ersten Tanzabend erlebt. Drei Tage später folgte der zweite in Berlin. Das ging mir wie ein Karussell durch den Kopf. Mir war, als könnte ich noch immer nicht begreifen, was alles in diesen wenigen Wochen geschehen war. Nach dem Berliner Abend hatte es mich wie eine Welle mitgerissen, eine Welle des Erfolgs, eines unerwartet unfaßbaren, unglaublichen Erfolgs. Über Nacht war die unbekannte Tanzelevin berühmt geworden. Die Wirklichkeit hatte meine ehrgeizigsten Wunschträume weit hinter sich gelassen. Alles, was ich in dieser Zeit sah, Bilder, Statuen - was ich hörte, Musik

Weitere Kostenlose Bücher