Memoiren 1902 - 1945
geschafft habe, weiß ich heute nicht mehr, aber es gelang mir, ihn zu überreden, mich schon am nächsten Morgen zu operieren. Er hatte mich
über alle Risiken aufgeklärt, aber ich bestand auf der Operation. Mindestens zehn Wochen Gips, sagte er, und, was viel schlimmer wäre, das Bein könnte steif bleiben. Doch in diesem Augenblick gab es für mich keine Wahl, entweder - oder! Sonst hätte ich keine Chance gehabt, mit Dr. Fanck in die Berge zu gehen. Ohne die Eltern und meine Freunde etwas über meinen Entschluß wissen zu lassen, teilte ich es nur Dr. Fanck mit. Die versprochenen Tanzfotos und Kritiken schickte ich ihm zu.
Noch in derselben Nacht traf ich in der Klinik ein und lag früh um acht schon auf dem Operationstisch. Während des Ätherrausches sah ich beglückt - wie in einem tanzenden Chaos - visionär die Bilder aus dem «Berg des Schicksals»: Felswände - Wolken - und immer wieder den Hauptdarsteller des Films, die «Guglia», die Schicksalsnadel. Sie ragte vor mir auf, jäh empor und wich langsam zurück - erlosch - löste sich auf.
Ich versank in den tiefen Schlaf der Bewußtlosigkeit.
«Der heilige Berg»
A m dritten Tag nach der Operation meldete mir die Schwester Besuch. Ungläubig schaute ich sie an, denn niemand wußte, wo ich mich befand. Da kam Dr. Fanck herein. Er sah bleich und übernächtigt aus. Die Schwester ließ uns allein.
«Ich habe Ihnen etwas mitgebracht», sagte er, «in den letzten drei Nächten schrieb ich es für Sie». Und er überreichte mir eine in Papier eingewickelte Rolle. Langsam packte ich sie aus - ein Manuskript. Auf der ersten Seite las ich:
DER HEILIGE BERG
geschrieben für die Tänzerin Leni Riefenstahl.
Was ich in diesem Augenblick empfand, hätte ich nie mit Worten ausdrücken können. Ich lachte und weinte vor Glück. Wie war es möglich, dachte ich, daß ein Wunsch so schnell sich erfüllen kann, ein Wunsch, den ich nicht einmal ausgesprochen hatte.
Drei Monate mußte ich liegen, drei unermeßlich lange Monate, in denen ich nicht wußte, ob ich das Bein wieder würde bewegen können wie zuvor. In dieser Zeit ging Dr. Fanck Szene für Szene des Films mit mir durch. Seine Zuversicht war bewunderungswürdig, als wäre ein Zweifel am Gelingen der Operation ausgeschlossen. In der dreizehnten Woche durfte ich endlich aufstehen. Arzt und Schwester waren damit beschäftigt, mir die ersten Schritte zu erleichtern. Und - ich hatte Glück: Ich konnte das Knie beugen und ohne Schmerzen bewegen. Dr. Pribram strahlte: Welche Gefühle von Dankbarkeit mich bewegten, konnte er nicht ermessen.
Auf den Straßen fielen inzwischen die ersten Schneeflocken. Langsam und unscheinbar rieselten sie herab - Berliner Schnee, der zu nichts nutze ist. Der einzige Schnee, den ich bisher kannte. Wie anders sollte das nun werden!
Auch in meinem Privatleben trat eine Veränderung ein. Von meinen Tennisfreunden erfuhr ich, daß Otto Froitzheim, mein Verlobter, während meines Klinikaufenthalts bei einem Tennis-Turnier in Meran ein Verhältnis mit einer Tennis-Kollegin angefangen hatte. Eine Woche lang hätten sie gemeinsam ein Zimmer bewohnt! So sehr mich diese Nachricht schmerzte, empfand ich sie doch als eine Fügung, mich endlich von diesem Mann lösen zu können - ein Entschluß, zu dem ich bisher die Kraft nicht aufgebracht hatte. Auch jetzt litt ich noch schrecklich bei dem Gedanken einer endgültigen Trennung.
Froitzheim wollte von einer Trennung nichts wissen. Täglich schickte er Briefe und Blumen. Eines Tages stand er vor meiner Tür und bat, hereinkommen zu dürfen. Nie hätte ich geglaubt, daß dieser Mann so um mich kämpfen würde. Ich wußte, wenn ich ihn hereinließ, würde ich ihm wieder verfallen, aber es fiel mir unsagbar schwer, ihm nicht die Tür zu öffnen. Er mußte mein Schluchzen gehört haben, denn er ging nicht fort, klopfte im Treppenhaus immer wieder und flehte mich mit seiner sanften, verführerischen Stimme an: «Leni, laß mich hinein - Leni, Leni...»
Ich biß mir in die Hand, um mein Schluchzen zu unterbrechen, aber ich blieb bei meinem Vorsatz. Es war die schmerzlichste Entscheidung, die ich bisher zu treffen hatte. Als sich seine Schritte entfernt hatten, heulte ich bis zum Morgen.
Fanck, der mich täglich besuchte, wunderte sich über meine Traurigkeit und mein verweintes Gesicht. Er bedrängte mich mit Fragen - schließlich berichtete ich ihm alles. Als er mich tröstend an sich zog, spürte ich,
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