Memoiren 1902 - 1945
eigenmächtig zu handeln. Wir hatten noch 600 Meter Film und eine leere Kasse. Ich mußte meinen Schmuck versetzen, die Verantwortung übernehmen und versuchen, Dr. Fanck zu ersetzen. Meine erste Regieaufgabe!
In Les Avants, wo es die schönsten Narzissenwiesen gab, drehten wir in drei Tagen alle Szenen. Voller Bangen schickten wir das Material nach Berlin. Der Rüffel, mit dem wir gerechnet hatten, blieb aus. Statt dessen kam ein Telegramm von Fanck:
«Gratuliere. UFA von Aufnahmen begeistert - Film wird fertiggestellt.»
Wir jubelten.
Bald traf auch Geld ein, mit dem wir uns vom Hotel loskaufen konnten. Wir fuhren nach Freiburg zurück. Hier bezog ich ein Giebelstübchen, von dem aus ich täglich zur Kopieranstalt fuhr. Fanck prüfte in einem kleinen Vorführraum das Material, das wir in den vergangenen fünf Monaten aufgenommen hatten. Ich lernte dabei, wie man entwickelt und kopiert. Man arbeitete damals noch mit Rah menentwicklung, die den Vorzug hatte, daß jede Aufnahme individuell behandelt werden konnte. So war es möglich, erstklassige Resultate zu erzielen, auch unter- oder überbelichtete Szenen konnten noch gerettet werden. Von Fanck lernte ich auch das Schneiden des Filmmaterials - eine Tätigkeit, die mich begeisterte. Aufregend, was man alles aus den verschiedenen Szenen komponieren konnte. Das «Filmschneiden» ist ein schöpferischer Vorgang von ungeheurer Faszination. Mit meinen dreiundzwanzig Jahren hatte ich in einem Neuland ganz schöne Fortschritte gemacht.
Während ich in meinem neuen Beruf ganz aufzugehen schien, tobte in meinem Innern ein schwerer Kampf. Sollte ich auf den Tanz verzichten? Ein unerträglicher Gedanke. Als ich die Rolle in diesem Film übernahm, hatte ich nie daran gedacht, meinen Beruf als Tänzerin aufzugeben. Meine Filmarbeit sollte höchstens drei Monate dauern. Soviel Zeit zu opfern, war ich bereit. Nun waren aber schon sechs Monate vergangen, und ein Ende der Aufnahmen war noch nicht abzusehen. Was sollte ich tun? Gab es eine Möglichkeit, beides zu machen? Meine Lage erschien mir fast hoffnungslos. Der ursprüngliche Gedanke, auf Berghütten zu trainieren, hatte sich als dilettantisch und undurchführbar erwiesen. Es war zu anstrengend, auf Berge zu steigen und gleichzeitig täglich zu trainieren.
Ich bat Herrn Klamt, meinen Pianisten, der mich auf allen Tanzgastspielen begleitet hatte, nach Freiburg zu kommen, und begann hier wieder mit dem Training. Die ersten Übungen nach der Knieoperation und nach einer Pause von einem Jahr waren sehr hart. Ich mußte die Zähne zusammenbeißen, um sie durchzustehen. Kaum hatte ich das Schwerste überwunden, wurde ich zum Film abberufen.
Auf Helgoland sollten, unterhalb der steilen Felsküsten, dort, wo die Brandung am stärksten ist, die Tanzaufnahmen gemacht werden. Es sollten die Einführungsszenen des Films werden - eine romantische Lieblingsidee von Fanck, für die ich einen Tanz komponieren mußte, den «Tanz an das Meer», nach der Fünften Symphonie von Beethoven. Fancks Vorstellung war, Wellen und Brandung sollten genau auf die Bewegungen der Tänzerin abgestimmt werden, was durch Schnitt und Zeitlupenaufnahmen möglich werden sollte. Es war verdammt schwierig, in dieser wilden Brandung barfuß auf den glitschigen Felsen zu tanzen. Damit der Tanz auch zum Rhythmus der Musik paßte, wurde ein Geiger über die Felswand abgeseilt. So abenteuerlich konnte Filmarbeit sein zu einer Zeit, die Tonbänder noch nicht kannte. Das Getöse der Brandung war aber so stark, daß ich nur ab und zu einige Töne der Musik hören konnte. Ich war froh, als diese Aufnahmen vorüber waren. Einige Male hatte mich die
Brandung ins Meer geworfen.
Den Filmarbeiten auf Helgoland folgten die Atelieraufnahmen in Berlin-Babelsberg. Zur gleichen Zeit drehte dort Fritz Lang sein «Metropolis» mit Brigitte Helm, Murnau seinen berühmten «Faust» mit Gösta Ekman, Camilla Horn als Gretchen und Jannings als Mephisto - alles Stummfilme, die noch heute international bewundert werden. Das Spielen im Atelier war wesentlich leichter als in der Natur. In geschlossenen Räumen konnte man sich besser konzentrieren.
Im Herbst folgten die Aufnahmen in Zermatt. In Europa kann es kaum eine schönere Berglandschaft geben. Sie ist überwältigend. Voller Verlangen blickte ich zu den Gipfeln des Matterhorns, des Monte Rosa und des Weißdorns hinauf, unwiderstehlich zog es mich nach oben. Ich wußte, eines Tages würde ich
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