Memoiren 1902 - 1945
größere Lawinen. Wir brauchten nicht nachzuhelfen, mußten nur eine geeignete Stelle finden, an der wir unter überhängenden Felsblöcken Deckung finden konnten, um nicht in die Schlucht hinuntergerissen zu werden. Die Kamera wurde aufgestellt, und nun hieß es warten und frieren. Über zwei Stunden harrten wir auf dem gleichen Fleck aus, ohne daß auch nur ein kleiner Schneerutsch kam. Die Füße verloren jedes Gefühl, die Nase lief, und die Wimpern waren vereist. Trotzdem wollten wir nicht aufgeben - noch nicht. Endlich hörten wir über uns ein Rauschen, Schneefloh sprang an die Kamera, ich an die vorbereitete Stelle, wo ich mich mit den Händen an den Felsen festhalten konnte. Es wurde dunkel um mich, und ich fühlte, wie sich der Schnee fest und schwer auf mich legte. Ich war verschüttet. Nun packte mich doch die Angst. Ich spürte mein Herz klopfen, versuchte mit Armen, Kopf und Schultern den Schnee zu durchstoßen - da fühlte ich, wie Schneeflohs Hände über mir gruben. Ich konnte wieder atmen.
«Wir haben pfundige Aufnahmen bekommen», sagte er, «der Fanck wird Augen machen.»
Ich hörte kaum, was er sagte, ich war noch betäubt. Das Schlimme war, daß wir die Szene noch einige Male wiederholten mußten, da Fanck alles in fern, halbnah und nah haben wollte. Ich streikte. Ich war nur noch ein einziger Eisklumpen. Erbost war ich, als ich später in einigen Blättern las: «Die Lawinenaufnahmen mit der Hauptdarstellerin waren unecht. Sie hätten in den Bergen und nicht im Atelier gefilmt werden müssen.»
Die Wunderheilung in St. Anton
V on Fanck erhielt ich bereits einen weiteren Auftrag. Ich sollte mit Hannes Schneider und mehreren Skiläufern Fackelaufnahmen in einem verschneiten Wald machen und die Regie übernehmen, da Fanck nicht in St. Anton sein konnte.
An einem Bach fanden wir das geeignete Motiv. Es dämmerte schon, die Kamera stand auf einer kleinen Brücke. Ich kurbelte selbst, weil Schneeberger aus Mangel an genügend Skiläufern mitspielen mußte. Jeder von ihnen hielt eine Magnesiumfackel in der Hand, auch ein kleiner Junge aus dem Dorf, der unmittelbar neben mir stand. Im Licht der Fackeln glitzerten die verschneiten Tannen in tausend Reflexen - ein schönes Motiv. Ich begann zu drehen. Da sah ich plötzlich einen grellen Lichtschein, es krachte und blitzte: Die Fackel, die der Junge hielt, war explodiert. Ich hörte ihn schreien, fühlte Feuer in meinem Gesicht. Mit der Linken versuchte ich die Flammen zu löschen, mit der Rechten kurbelte ich weiter, bis die Szene zu Ende war. Dann schaute ich mich um. Der Junge war verschwunden. Ich ließ die Kamera stehen, lief mit schmerzendem Gesicht nach Hause, die Treppe hinauf und schaute in den Spiegel. Die eine Gesichtshälfte war schwarz, die Haut hing in Fetzen herunter, die Wimpern und Augenbrauen waren verbrannt. Das Haar, durch eine Lederkappe geschützt, war angesengt.
Dann suchte ich das Kind. Es lag im Nachbarhaus im Bett und hatte am ganzen Körper schwere Brandwunden. Es schrie so furchtbar, daß ich meine eigenen Schmerzen vergaß. Der Arzt kam, aber er konnte nicht helfen. Da erlebte ich etwas Merkwürdiges. Die Bauern brachten ein altes Mütterchen, das sich zu dem Jungen ans Bett setzte, ihn anpustete, und nach wenigen Minuten wurde das Kind still, streckte sich aus und schlief ruhig ein. Ich war sprachlos. Ich hätte nie an Wunderheilungen geglaubt. Nun spürte ich meine Schmerzen wieder. Ich lief hinaus, um den Brand mit Schnee zu kühlen. Der Schmerz wurde dadurch nur schlimmer. In meiner Verzweiflung suchte ich das alte Mütterchen auf. Es wohnte in einem alten Bauernhaus, etwas außerhalb von St. Anton. Ich bat es, auch mir zu helfen, aber die alte Frau wollte nicht. Ich flehte so sehr, bis sie mich in ihre Stube ließ. Sie murmelte etwas vor sich hin, kam dann mit ihrem Gesicht ganz nah an das meine, ich spürte ihren Atem, der so kühl wie Eis war, und die Schmerzen verschwanden. Ich kann mir denken, daß dies ganz unglaubhaft klingt, auch der Hautarzt in Innsbruck, den ich am nächsten Tag aufsuchte, glaubte mir nicht. Er stellte eine Verbrennung dritten Grades fest, nach seiner Diagnose würden Gesichtsnarben zurückbleiben. Hätte er recht behalten, wäre meine Laufbahn beim Film damals zu Ende gewesen. Aber es blieben keine Narben zurück. Tatsächlich ein Vorgang, der wissenschaftlich nicht zu erklären ist.
Jedenfalls warf mein Unglücksfall den Film noch einmal um Monate zurück. Erst als
Weitere Kostenlose Bücher