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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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teuflisch, verunglückte auch noch Schneeberger, unser Kameramann. Die Serie unserer Unfälle verschaffte ihm Arbeitsurlaub, er war nach Kitzbühel gefahren, um als heißer Favorit an den Österreichischen Skimeisterschaften teilzunehmen. Die Schneeverhältnisse waren katastrophal, aus allen Hängen ragten stellenweise Steine, Gestrüpp und Sandflecken heraus. Schneefloh, wie sein Spitzname hieß wegen seiner tollen Sprünge, damals einer der besten Abfahrtsläufer Österreichs und der Schweiz, versuchte im Abfahren diese Hindernisse zu überspringen, kam in ein rasendes Tempo - wirbelte durch die Luft und blieb mit angebrochener Wirbelsäule liegen.
      So verwandelte sich unser Filmlager in ein Lazarett. Wochenlang war es fraglich, ob «Der Heilige Berg» je noch zustande kommen würde. Es hieß, die UFA wolle den Film abbrechen. Wir hatten fast jede Hoffnung verloren. Sechs Wochen lungerten wir in Lenzerheide herum, ohne auch nur einen einzigen Meter drehen zu können. Der Föhn räumte immer mehr mit dem Schnee auf. Ein trostloser, tückischer Winter.
      Da kam der Wind plötzlich von Nordost, und Frost setzte ein. Die
    Temperatur sank, die Arbeiter begannen von neuem mit den Eisbauten. Tag und Nacht wurde geschuftet. Der Arzt nahm mir den Gipsverband ab, ich konnte wenigstens humpeln.
      Die ersten Aufnahmen wurden gemacht - nachts auf dem See in Lenzerheide. Die Scheinwerfer leuchteten auf, bestrahlten die Eisbauten. Es war entsetzlich kalt, die Kabel wurden auseinandergerissen, die Steckdosen und Kameras froren ein. Aber trotz aller Widrigkeiten ging die Arbeit weiter. Ich bewunderte die Ruhe und die Selbstbeherrschung, die Fanck bei diesen Katastrophen zeigte. Von der Arbeit war ich fasziniert. Fanck gab mir Einblick in seine Regie. Er lehrte mich, daß man alles gleich gut fotografieren müsse: Menschen, Tiere, Wolken, Wasser, Eis. Bei jeder Aufnahme, sagte Fanck, gehe es darum, das Mittelmaß zu überschreiten, das Wichtigste wäre, von der Routine wegzukommen und alles möglichst mit einem neuen Blick zu sehen.
      Ich durfte durch die Kamera schauen, Bildausschnitte aussuchen, lernte Negativ- und Positivmaterial, das Arbeiten mit verschiedenen Brennweiten, die Wirkung der Objektive und Farbfilter kennen. Ich fühlte, daß der Film eine Aufgabe für mich sein könnte, ein neuer Inhalt. Zugleich wurde mir klar, daß beim Film der einzelne nichts ist, daß hier alles nur in Gemeinschaftsarbeit entstehen konnte. Der beste Darsteller kommt nicht zur Geltung, wenn der Kameramann nichts taugt, und der wiederum ist auf bestmögliche Entwicklungsarbeit der Kopieranstalt angewiesen, und die beste Entwicklung kann nichts erbringen, wenn die Kameraarbeit ungenügend war.
      Wenn nur einer versagt, ist das Ganze gefährdet.
      Zwei Wochen arbeiteten wir noch in Lenzerheide, dann brachen wir dort die Arbeiten ab. «Der Heilige Berg» war noch lange nicht bezwungen. Als unseren nächsten Standplatz hatte Fanck Sils Maria im Engadin gewählt, hier quartierten wir uns in einer kleinen Pension ein. Es war schon Anfang April, alle Hotels waren geschlossen, der Ort wie ausgestorben. Die Belastungen der letzten Monate, in denen wir immer fürchten mußten, der Film werde abgebrochen, hatten unsere privaten Probleme in den Hintergrund treten lassen. Aber verschwunden waren sie nicht. Harry Sokal kam oft nach Lenzerheide und versuchte bei jeder Gelegenheit, sich mir wieder zu nähern. Ich wollte wissen, ob er seinen Beruf gewechselt habe - er war bei der Österreichischen Kreditanstalt in Innsbruck als Bankier tätig gewesen - oder ob sein Einstieg in die Filmindustrie nur ein Gastspiel sei. Eine Filmproduktion, erklärte er, würde ihn fesseln, sie sei tausendmal interessanter als das Bankgeschäft. Ich hatte keinen Zweifel, daß er in erster Linie meine Nähe suchte.
      Noch immer versuchte auch Dr. Fanck, meine Zuneigung zu gewinnen. Wir alle spürten, wie sehr er litt. Deshalb bemühten sich Trenker und ich, vor ihm unsere Gefühle füreinander, die mehr waren als Sympathie, zu verbergen. Dies alles erzeugte schwer zu ertragende Spannungen. Vor allem für mich. Nachdem ich mich von Froitzheim getrennt hatte, den ich noch immer liebte, hoffte ich, durch Trenker von meiner Abhängigkeit von ihm befreit zu werden.
      Sokal und Trenker waren abgereist, Trenker nur für kurze Zeit. Das Wesen Fancks veränderte sich, er wurde wieder fröhlicher. Jetzt waren wir nur noch zu siebt, und ich gehörte schon zum «alten

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