Memoiren 1902 - 1945
freit mi oba.»
Mich beachtete er nicht. Fanck jedoch hatte nur einen Gedanken: Er wollte so schnell wie möglich die Szene mit mir und Trenker im Kasten haben. Noch vor Sonnenuntergang waren die Aufnahmen beendet, und wir machten uns für die Abfahrt bereit.
Trenker fuhr voraus. Während Schneeberger und Fanck die Kame raausrüstung und die Rucksäcke packten, kam Sturm auf. Zum ersten Mal erlebte ich, wie sich das Wetter im Gebirge blitzschnell verändern kann. Eben noch schien die Sonne, jetzt peitschte ein eisiger Schneesturm um die Hütte. An Abfahren war nicht mehr zu denken. Das Wetter mußte auch Trenker bei der Abfahrt nach Maloja erwischt haben, aber als erfahrener Alpinist würde er den Weg schon hinunterfinden. Wir vertrieben uns ohne ihn die Zeit, so gut es ging. Fanck versuchte, der Stimmung mit Galgenhumor aufzuhelfen. Sicher mußten wir die Nacht wieder hier verbringen. Die Verteilung der Schlafplätze war nun kein Problem mehr. Ich schlief unten, Fanck und Schneeberger oben. Das Toben des Schneesturms wurde immer stärker. Zwei Tage und zwei Nächte waren schon vergangen, unsere Vorräte und unser Holz wurden knapp; für eine längere Zeit waren wir nicht ausgerüstet. Wir aßen nur ganz wenig, bis die letzte Brotkrume aufgebraucht war. Ich war mir bewußt, daß ich allein das Hindernis für die Abfahrt war. Ohne mich wären die Männer trotz des Schneesturms längst abgefahren. Nur meine schwache Sicherheit auf den Skiern war daran schuld, daß wir zu viert noch in der Hütte bleiben mußten. Diese Rücksicht auf mich war jedoch zu Ende, als die Rucksäcke leer waren. Ein kurzer Entschluß, in wenigen Minuten machten wir uns fertig für den Start. Es gab keinen anderen Ausweg. Fanck und der Träger fuhren voraus, Schneefloh, der am besten fuhr, mußte sich meiner annehmen. Treffpunkt: Maloja.
Schon nach wenigen Sekunden waren die beiden Gestalten vor uns verschwunden, der Schneesturm hatte sie verschluckt. Ich stand mit Schneeberger vor der Hüttentür. Der Sturm drang durch die Kleider. Unsere Wimpern und die Haare waren sofort vereist. Vor uns lag ein undurchsichtiger Raum. Floh packte mich am Arm, und wir glitten ins Ungewisse hinaus. Nichts aber war zu sehen. Mir war unbegreiflich, wie wir den Weg finden sollten.
«Die Füße zusammenhalten!» schrie Schneefloh. Da merkte ich auch schon, daß wir über Lawinenbollen flogen. Danach wurden die Füße wieder ruhiger. Plötzlich hatte ich das Gefühl, stillzustehen. Im selben Augenblick stürzte ich aus rasendem Tempo kopfüber und überschlug mich ein paarmal. Neben einem Felsen blieb ich liegen. Erschrocken spürte ich, wie Schnee sich über mein Gesicht schob und mein Körper mit einer Schneemasse ins Gleiten kam. «Eine Lawine!» schrie ich, so laut ich konnte. Zum Glück war es aber nur ein kleiner Schneerutsch. Bis zum Hals lag ich im Schnee vergraben. Schattenhaft sah ich Schneeberger in der Nähe herumgeistern und auf mich zukommen. Er grub mich aus und rieb mir die Hände warm. Aber Angst hatte mich überfallen, ich wollte nicht mehr weiter ab
fahren. Ich fürchtete mich vor den Lawinen und den Felsen, vor allem aber vor einem neuen Beinbruch. Ich wollte umkehren. Schneefloh packte mich am Arm, und so sausten wir weiter den Gletscher hinunter, oft knapp an den Felsen vorbei, die erst in letzter Sekunde aus undurchdringlichem Grau auftauchten. Wie eine Gummipuppe hing ich in Schneebergers Armen. Plötzlich kamen wir in den Wald, das Toben des Sturms ließ nach, die Sicht wurde besser.
Noch ein paar Wiesen und Wege und wir waren in Maloja. Trenker war schon abgereist.
Tanz oder Film
I nterlaken war unser nächstes Ziel. Dort sollten die Frühlingsaufnahmen gemacht werden. Welch ein Gegensatz! Die Schneestürme auf der Fornohütte, die Narzissenwiesen hier.
Aber schon zeigte sich wieder der Unstern, der diesen Film begleitete. Die Aufnahmen mußten eingestellt werden, da Dr. Fanck von der UFA zur Berichterstattung nach Berlin gerufen wurde. Der Film sollte abgebrochen werden, weil die Winteraufnahmen infolge unserer Unglücksfälle nicht fertiggestellt werden konnten und man einen zweiten Winter im Hochgebirge nicht wagen wollte. Mit Schneeberger und Benitz, unserem jungen Kamera-Assistenten, blieb ich in Interlaken.
Bedrückt sahen wir zu, wie die Baumblüte von Tag zu Tag ihrem Ende entgegenging. Wir hatten nicht nur einen Winter halb verloren, nun ging auch der Frühling vorüber. Da beschloß ich,
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