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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Da stand z. B. im Manuskript, daß ich über eine Eiswand hochgezogen werden sollte, und daß während des Hinaufziehens Lawinen über mich stürzten. Vor dieser Aufnahme hatte ich unheimliche Angst. Fanck hatte am Morteratschgletscher eine zwanzig Meter hohe Wand ausgesucht. Drei Tage lang wurden oben am Rand dieser Eiswand große Mengen von Schnee und Eisbrocken aufgeschichtet. Ich beobachtete diese Vorkehrungen mit großem Mißtrauen. Auch kannte ich Fanck nun schon so gut und wußte, daß es ihm nichts ausmachte, seine Darsteller in die schwierigsten Situationen zu manövrieren, wenn er nur gute Bilder davon erhielt.
      Es war soweit. Für die Aufnahmen war alles vorbereitet. Fanck, der meine Angst bemerkte, versprach, ich würde nur einige Meter hochgezogen werden. Dann wurde ich angeseilt. «Drehen», hieß das Kommando, und man zog mich hoch. Da sah ich, wie sich über mir an der Kante der Eiswand die Schneemauer löste. Der Himmel verdunkelte sich, und schon stürzten die Massen über mich hinweg. Da meine Arme mit Seilen eingebunden waren, konnte ich mich nicht vor dem Schneestaub schützen. Ohren, Nase und Mund waren voller Schnee und Eisstücke. Ich schrie, man sollte mich hinablassen. Aber vergebens, man zog mich, entgegen Fancks Versprechen, über die ganze Eiswand hinauf. Aber auch an der scharfen Eiskante machte man nicht Halt, man zerrte mich auch noch darüber hinweg. Unter großen Schmerzen und weinend vor Wut über die Brutalität meines Regisseurs kam ich oben an. Fanck freute sich nur über die gelungenen Aufnahmen.
      Eine weitere Sensationsaufnahme wurde mir zugemutet, diesmal allerdings mit meiner Einwilligung. Allerdings hatte ich mir die Sache leichter vorgestellt. Mit einem Schritt nach rückwärts, aber angeseilt, sollte ich in eine Gletscherspalte stürzen - eine Szene, die mit meiner Rolle nichts zu tun hatte. Im Film gab es noch eine weitere weibliche Rolle, die aber nur am Anfang vorkommt. Für sie hatte Fanck die junge Mizzi ausgewählt, die Tochter des Gastwirts unseres Hotels. Sie spielte die Braut von Gustav Diessl und mußte, weil laut Drehbuch eine herabstürzende Eislawine das Seil, das sie mit ihrem Verlobten verbindet, durchschlägt, rückwärts in eine Gletscherspalte stürzen. Mizzi wollte diesen Sturz nicht riskieren, und Fanck wollte keine Puppe verwenden. Da er wußte, daß ich mich in einer finanziellen Notlage befand, hoffte er, daß ich an Mizzis Stelle diesen Sturz als Double machen würde. Dafür bot er mir nur den lächerlichen Betrag von fünfzig Mark an, und so sagte ich mehr aus Ehrgeiz zu. Ich zog Mizzis Kleider an, die Kamera surrte. Ich hatte geglaubt, ich würde nur zwei bis drei Meter fallen, aber ich sauste mindestens fünfzehn Meter in die Tiefe und schlug mit meinem Kopf an harte spitze Eiszapfen. Auch hatte ich mir nicht vorstellen können, daß das unter meiner Brust befestigte Seil so scheußlich schmerzen würde. Hoch über mir sah ich das kleine Loch, durch das ich gefallen war und das nur wenig Licht in die düstere Spalte ließ. Unter mir hörte ich Wasser rauschen, es mußte ein Gletscherbach sein. Eine scheußliche Situation. Als ich endlich wieder herausgezogen wurde, konnte ich mich kaum bewegen. Alles tat mir weh, Kopf und Glieder.
      Nie wieder, das schwor ich mir, würde ich mich auf solche Szenen einlassen.
      Starker Schneesturm hielt uns schon seit acht Tagen gefangen. Es war unmöglich, die Hütte zu verlassen, der Sturm hätte jeden sofort weggefegt. In der Nacht war es besonders schauerlich. Der Sturm tobte so heftig, daß man fürchten mußte, er würde das Dach abtragen und auf den Gletscher werfen. Wir alle hatten den Winter satt und sehnten uns nach dem Frühling. Seit fünf Monaten waren wir nicht ein einziges Mal aus dem Eis herausgekommen.
      Ich litt auch unter Fanck. Jede Nacht fand ich unter meinem Kopfkissen Gedichte und Liebesbriefe - es war quälend. Weil nun Schneeberger nicht mehr bei mir war, glaubte er, mich umstimmen zu können. Er erreichte nur das Gegenteil. Ich konnte ihn nicht mehr ansehen und hatte nur den einen Wunsch, fort von hier, weit weg. Das wurde schließlich zu einer fixen Idee. Unter unseren Bergführern befand sich ein junger Schweizer, bekannt für seine Kühnheit. Ich konnte ihn überreden, mit mir durchzubrennen. Schon am nächsten Tag, während alle ahnungslos ihren Mittagsschlaf hielten, gingen wir, bis zur Unkenntlichkeit gekleidet, in den Sturm hinaus.
      Niemals vorher hatte ich ein

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