Memoiren 1945 - 1987
Rat, in einer Baumwoll-Lagerhalle nachzusehen, ob dort möglicherweise eine Lorre stehen könnte. Und tatsächlich befand sich da gerade ein Lastwagen, der Ersatzteile für einen auf der Straße liegengebliebenen Wagen holen sollte. Wir waren froh, daß uns der Fahrer mitnahm und gegen eine gute Bezahlung auch bereit war, Gerhard Fromm und mich nach Tadoro zu bringen.
Spät am Abend kamen wir in unserem Lager an. Die beiden Männer schliefen schon. Als wir sie weckten, waren sie über meine schnelle Rückkehr wenig erfreut. Nur mürrisch gaben sie mir Matratzen und Decken für Fromm und den Fahrer, der bei uns übernachtete. Kein einziges Mal waren sie zum Postamt nach Kadugli gefahren, um nachzufragen, wann ich zurückkomme, also hatten sie auch mein Telegramm nicht erhalten. Ich wußte es nun genau, wie wenig ich von diesen zwei Leuten zu erwarten hatte.
Die Nuba waren überrascht, mich am nächsten Morgen wiederzusehen. Ihre erste Frage galt dem Befinden meiner Mutter. Als ich ihnen sagte: «Ageniba pengo» — meine Mutter ist gestorben, nahmen sie mich in ihre Arme und weinten mit mir, auch Nuba-Frauen, die ich vorher nie gesehen hatte. Es berührte mich tief, wie diese Menschen an einem ihnen ganz unbekannten Schicksal Anteil nahmen. Es half mir, den Schmerz zu ertragen.
Der Nuba-Film
E s war schon Anfang Februar, und wir hatten für unsere Filmarbeit nur sechs Wochen Zeit. Meine jungen Männer wollten spätestens Mitte März wieder zu Hause sein. Es galt also jede Stunde auszunutzen. Die von Tag zu Tag größer werdende Hitze erschwerte das Arbeiten sehr.
Unsere Aufnahmeplätze waren oft weit vom Lager entfernt, und wir mußten, wenn wir sie nicht mit dem Wagen erreichen konnten, kilometerweit zu Fuß gehen. Plätze, an denen die nur noch selten vollzogenen kultischen Handlungen stattfanden, waren schwer zugänglich. Wir gingen über die Berge in andere Täler hinein, um immer neue Motive für die Kamera zu finden. Dabei mußten wir glatte Felswände überqueren, wobei ein Ausrutschen die Kameras gefährden konnte. Hier zeigten sich die Nuba von ihrer besten Seite. Sowie eine gefährliche Stelle kam, waren sie unter uns und halfen uns mit ihren Händen, die Balance zu halten. Nicht immer waren diese strapaziösen Ausflüge erfolgreich. Einige Male vergaß ich die Anstrengungen, die Bilder, die wir bekamen, waren es wert. Dabei denke ich besonders an eine Zeremonie, von der die Nuba mir schon erzählt hatten, die ich aber noch nie gesehen hatte: Die «Einweihung» eines Jünglings.
Ein entferntes Trommeln hatte uns in die Nähe einer Hütte gelockt. Als wir eintraten, sahen wir eine schneeweiße Gestalt, durch einen Sonnenstrahl erhellt. Sie hatte den Anschein einer Statue, nicht den eines Menschen aus Fleisch und Blut. Im Raum herrschte eine mystische Stimmung. Die Nuba hatten unser Eintreten kaum bemerkt, sie standen ganz im Bann des Rituals. Für mich war diese Zeremonie das Eindrucksvollste, was ich bei den Nuba je erlebte. Wie stark die Menschen im Zauber dieser kultischen Handlung standen, war daran zu erkennen, daß ich den Jüngling aus der Nähe fotografieren konnte. Auch Gerhard Fromm stellte behutsam sein Stativ auf und konnte diese Szene filmen. Sternstunden wie diese gab es für die Kamera nicht oft.
Wir mußten uns beeilen, um von den Erntearbeiten die noch fehlenden Aufnahmen zu bekommen. Seit Jahren hatte es keine so gute Ernte gegeben, und die Nuba waren über diesen Reichtum glücklich. Unverständlich, warum sie diesen Überschuß an Korn nicht als Vorräte anlegten. Anders als viele Naturvölker verbrauchten sie, was sie ernteten, auch wenn sie es im Überfluß hatten — verwendeten es dann für ihre Stammesfeste, obgleich sie aus Erfahrung wußten, daß schlechte Ernten ihnen Hunger und einigen sogar den Tod brachten. Es wäre ein Leichtes gewesen, in den steilen Felsen Vorratshäuser, vor Regen geschützt, anzulegen. Wenn ich sie nach den Gründen fragte, lachten sie nur und sagten, sie hätten es immer so gemacht.
Ein anderes Problem war das für sie so lebenswichtige Wasser. Sobald die Trockenheit im März beginnt, wird das Wasser knapp. Dann versiegt der einzige Brunnen und die wenigen Wasserstellen, die sie haben. Stundenlang müssen die Nuba dann laufen, um aus Wasserpfützen kleine Mengen herbeizuholen. Auch die Tiere sind am Verdursten und magern zum Skelett ab. Regnet es dann ab Ende Mai oder Anfang Juni bis Oktober in Strömen, kommt soviel
Weitere Kostenlose Bücher