Memoiren 1945 - 1987
noch nicht zu heiß war, lieber im Zelt schlafen. In meiner kleinen Strohhütte hatte ich die neuen NubaFotos aufgehängt und über meinem Bett auch ein kleines Bild meiner Mutter. Neugierig fragten sie mich, ob das meine Mutter wäre. Als ich das bestätigte, betrachteten sie es lange, wobei sie sahen, daß meine Augen feucht wurden. Betroffen fragten sie: «Angeniba bige?» — Ist deine Mutter krank? Ich nickte und bemerkte, daß sie im Gegensatz zu meinen Begleitern, die meine Mutter kannten und wußten, was sie mir bedeutete, Mitgefühl mit mir empfanden. Sie drückten mir die Hände und verließen die Hütte.
Von Tag zu Tag wurde es nun heißer. Das Thermometer zeigte schon wieder 40 Grad im Schatten. Die Nuba gruben ein tiefes Erdloch, in dem wir das Filmmaterial bei einer Temperatur von 27 Grad aufbewahren konnten. Wir deckten das Licht mit doppelten Schichten Durastengeln und Laub in der Grube ab.
Besorgt beobachtete ich, mit welcher Unlust meine beiden Begleiter arbeiteten. Auch schienen ihnen die Nuba gleichgültig zu sein. Ich bat sie, in Kadugli nach Post zu schauen. Schon am Abend kamen sie zurück und übergaben mir einen Brief. Es war Ulis Handschrift.
Bestürzt las ich, daß meine Mutter wegen eines Arterienverschlusses in der Kniekehle in die Universitätsklinik gebracht werden mußte.
«Versuchen Sie, ruhig zu bleiben», schrieb Uli, «falls das Schlimmste eintreten sollte, bitte ich Sie, mir entsprechende Vollmachten zu schicken.»
Nun gab es für mich kein Halten mehr. Meine Angst konnte ich nicht mehr bezwingen, und ich beschloß, die Arbeit hier sofort zu unterbrechen. In der Nacht stellte ich einen Arbeitsplan für meine Leute auf und packte meine Sachen. Ich hatte keine Vorstellung, wie lange ich wegbleiben würde — ich wußte nur, daß ich bei meiner Mutter bleiben würde, solange sie sich in Gefahr befand.
Im Morgengrauen verließ ich Tadoro. Meine Begleiter brachten mich nach Kadugli. Es war der 18. Januar 1965, ein Tag, den ich nie vergessen werde. Als wir vor dem Postamt hielten, wurde mir ein Telegramm ausgehändigt. Ich las: «Mutter heute nacht verstorben, abwarte Brief. Uli.»
Ich brach zusammen. Ein Leben ohne meine Mutter konnte ich mir nicht vorstellen. Vier Tage hatte das Telegramm auf dem Postamt gelegen. Sie starb schon am 14. Januar. Wie furchtbar, daß ich in ihren letzten Stunden nicht bei ihr sein konnte. Ich mußte sie noch einmal sehen, auch, wenn sie nicht mehr am Leben war.
Erst nach vier Tagen traf ich in München ein. Uli holte mich am Flughafen ab. Zwei Tage zu spät — meine Mutter war schon beerdigt. Freunde hatten alles getan, sie bis zum letzten Atemzug mit Liebe zu umgeben. Dieses Erlebnis hatte eine tiefgreifende Wirkung auf mein ganzes weiteres Leben. Die einzige Möglichkeit, dem Schmerz zu entrinnen, sah ich darin, so schnell als möglich nach den Nuba-Bergen zurückzukehren, meine Pflicht zu erfüllen und den Film zu retten, wenn möglich, einen Kameramann mitzunehmen, da der sudanesische nur kurze Zeit hätte arbeiten können. Zufällig war Gerhard Fromm, ein junger Kamera-Assistent, frei, den mir Heinz Hölscher empfohlen hatte. Mit Hilfe Abu Bakrs konnte er ohne Visa in Khartum einreisen.
Schon nach einer Woche stand ich mit ihm auf dem Bahnsteig der kleinen Eisenbahnstation Semeih. Es war schwierig, hierherzukommen. In Khartum konnten wir kein Fahrzeug finden, das uns bis in die Nuba-Berge gebracht hätte, also nahmen wir den Bummelzug. Erst nach 30 Stunden, der Zug blieb unterwegs oft stehen, standen wir ermüdet auf dem kleinen Bahnsteig, und weit und breit war kein Mensch zu sehen. Vor uns nur Schienen und Sand. Ich hatte meine Leute von unserer Ankunft telegrafisch verständigt, aber vergebens schaute ich nach ihnen aus. Vielleicht waren sie auf der sandigen Piste irgendwo steckengeblieben.
Eine brenzlige Situation. Von Semeih bis zu unserem Lager sind es einige hundert Kilometer. Eine Verbindung mit Bahn oder Bus dorthin existiert nicht. Ab und zu fährt einmal ein Lastwagen bis Kadugli. Außer der Bahnstation gibt es nur zwei oder drei Häuser für die Eisenbahnbeamten und ein kleines Rasthaus, sonst nichts. Uns blieb nichts übrig, als in das kleine Rasthaus zu gehen und zu
warten, bis zufällig ein Lastwagen vorbeikommen würde.
Wieder half uns ein glücklicher Zufall. In dem Rasthaus wohnte ein skurriler Engländer, der irgend etwas mit der Landwirtschaft zu tun hatte. Der gab uns den
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