Memoiren 1945 - 1987
überfüllt. Unter den Ausländern herrschte Aufbruchstimmung, auch meine Gastgeber rechneten mit baldiger Abreise.
In dieser apokalyptischen Atmosphäre kam es zu einer ersten ernsthaften Verstimmung mit meinen beiden Begleitern. Trotz der Warnung unseres Gastgebers und meines ausdrücklichen Verbots fuhren sie mit beiden Bussen in die Stadt, in der noch immer gekämpft wurde, um Post zu holen. Als sie nach Stunden noch immer nicht zurückkamen und es schon dunkel geworden war, befürchteten wir das Schlimmste. Als sie schließlich sehr spät wieder da waren und ich sie zur Rede stellte, erklärten sie im arroganten Ton, ich hätte ihnen überhaupt nichts zu sagen, sie wüßten allein, was sie zu tun hätten. Eine wenig angenehme Überraschung. Ich hätte sie sofort entlassen sollen. Als ich das andeutete, sagten sie: «Wir gehen lieber heute nach Hause als morgen.» Waren das die gleichen netten jungen Leute, die mir in München so geholfen hatten, die so begeistert waren, mitzukommen? Was hatte sie nur so verändert? Auch Weistroffers rieten mir zu, mich von den beiden zu trennen. Aber wie sollte ich hier so schnell einen Ersatz bekommen, und mein Wunsch, möglichst bald zu den Nuba zu kommen, machte mich blind und unvorsichtig. Ich hoffte, dieser Zwischenfall sei nur eine einmalige Entgleisung gewesen.
Die erzwungenen Ruhetage in Khartum hatten auch ihr Gutes. Uli konnte mir alles mögliche nachschicken, was bis zu unserer Abreise noch nicht eingetroffen war, wie z. B. spezielle Wrattenund Grauverlauffilter, Kreiselstativkopf, leere 120-Meter-Büchsen,
Entwicklungsdosen, Umroller und vor allem noch wichtige Medikamente. Obwohl er mitten im Examen war und ich ihn zweifellos überforderte, wollte er uns alle Wünsche erfüllen. So hatte ich ihn gebeten, meine Wohnung zu vermieten, sich um meine Mutter zu kümmern, mit meinem Anwalt, Dr. Weber, laufende Prozeßangelegenheiten zu besprechen und mich über alle wichtigen Korrespondenzen zu informieren. Er war auch bevollmächtigt, über die Dollar zu verfügen, die aus USA eingetroffen waren, um die vielen offenen Rechnungen zu begleichen.
Mitte Dezember kam das Land zur Ruhe. Keine Schüsse oder Einschläge mehr, das Telefon ging wieder, und Dieter und Walter zeigten friedlichere Mienen. Wir beschlossen, die Reise zu wagen. Glücklicherweise kam gerade noch rechtzeitig aus Rochester das Filmmaterial, das ich bei Robert Gardner bestellt hatte. Nun fehlte uns nur noch der Kameramann, aber Abu Bakr wußte einen Ausweg. Er machte mich mit einem sudanesischen bekannt. So schien nach den vielen scheinbar unüberwindlichen Hindernissen sich doch noch mein Wunsch zu erfüllen, einen Film über die Nuba zu machen.
Zurück nach Tadoro
E s war eine Woche vor Weihnachten, genau der gleiche Tag, an dem ich vor zwei Jahren zum ersten Mal hier übernachtet hatte. Wieder lag ich unter dem großen schattigen Baum, aber diesmal mit zwei eigenen Fahrzeugen und einer guten Ausrüstung versehen. Erst langsam konnte ich es fassen, wieder hier zu sein. Die Begrüßung der Nuba war, wenn überhaupt möglich, noch überschwänglicher als beim letzten Mal. Es schien alles zu sein wie damals. Wieder standen die Kinder in der Früh um mein Bett, sie kamen mir noch fröhlicher vor. Die Knaben liefen in die Seribe, um den Ringkämpfern meine Rückkehr mitzuteilen. Schon nach wenigen Stunden kamen die ersten: Natu, Tukami, Gumba — sie strahlten, als sie mich wiedersahen. Sie brachten Geschenke mit, Schalen mit Sesam und Erdnüssen. Wir setzten uns auf die großen Steine unter dem Baum, und ich mußte ihnen erzählen, was ich inzwischen erlebt hatte. Dann spielten sie meine Lieblingsmelodien. Wieder staunte ich über ihre Unbekümmertheit. Hier herrschte noch tiefer Friede. Von den Unruhen im Sudan war nichts zu den Nuba gedrungen. Hier gab es noch keine Unzufriedenheit, keinen Diebstahl und keinen Mord. Die Nuba erschienen mir als die glücklichsten Menschen, die der Herrgott geschaffen hat — ihre Lieblingsbeschäftigung war zweifellos — «Lachen».
Auch ich hatte Geschenke mit dabei, vor allem Tabak, Perlen, auch Zucker, Tee und sogar grüne Kaffeebohnen, die sie rösteten und zerstampften. Sie bekamen sie manchmal im Tausch von den Arabern. Ein Schluck starker Kaffee mit sehr viel Zucker war für sie der höchste Genuß. In kurzer Zeit hatten sie uns zwei Strohhütten gebaut, eine für mich, die andere für unsere Kisten. Die beiden jungen Leute wollten, solange es
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