Memoiren 1945 - 1987
Ausschreitungen gegen Araber führen können. Es lebten in den Nuba-Bergen nur vereinzelt arabische Händler, die Perlen und bunte Tücher gegen Korn, Tabak oder Baumwolle mit den Nuba tauschten. Ich brachte den Araber und seine Familie mit dem Bus nach Rheika, wo sie in der Schule ziemlich sicher waren. Meine gutgemeinte Hilfe wurde aber schlecht belohnt. Der arabische Händler zeigte mich, wie ich später erfuhr, bei der Polizei in Kadugli als angebliche «Spionin» an, die mit dem «Feind», gemeint waren die in der Nähe lebenden Schilluk und Dinka, zusammenarbeite. Diese absurden, gefährlichen Behauptungen landeten in den Akten der geheimen Staatspolizei in Khartum, und in der Folge wurde mir bei einer später geplanten Expedition das Einreise-Visum nach dem Sudan verweigert. Als Beweis für seine Beschuldigungen hatte der Araber angegeben, wir hätten uns durch «Lichtsignale» mit den Feinden der Sudanesen in Verbindung gesetzt. Damit meinte er die Blitzlichtauf nahmen, die während meiner Abwesenheit Dieter und Walter von den mit Speeren bewaffneten Nuba gemacht hatten. Ferner behauptete er, ich hetzte die Nuba gegen die Araber auf. Als Begründung hierfür gab er an, ich spreche ihre Nuba-Sprache und lebe monatelang unter ihnen.
Die Gerüchte von den Unruhen, die sich so blitzschnell verbreitet hatten, waren nicht unbegründet. Nur wenige Kilometer südlich von Tosari hatten Kämpfe zwischen Angehörigen der Schilluk und sudanesischen Soldaten stattgefunden, in die auch Nuba verwickelt waren. Die daraus entstandene Panik hatte sich auf die benachbarten Nuba-Siedlungen übertragen.
Auch am nächsten Tag blieben unsere Nuba noch verschwunden. Erst nach fünf Tagen kamen die ersten zurück. Wir hatten nur noch wenige Tage für die Aufnahmen in der Seribe zur Verfügung. Ich konnte sie aber nicht nutzen. Alle Ringkämpfer von Tadoro — zehn junge Männer, unter ihnen auch Natu und Tukami — sollten nach Kadugli ins Gefängnis kommen.
Zum Glück hatte es nichts mit den Unruhen zu tun. Es handelte sich um ein Vergehen, dessen sich die Nuba manchmal schuldig machten, aber noch nie waren es so viele. Ich hatte oft beobachtet, wie ehrlich sie waren. Bis auf zwei Ausnahmen kam Diebstahl bei ihnen kaum vor. In ihren Augen waren es nur «Kavaliersdelikte», die sie trotz hoher Strafen immer wieder ausübten. Einmal ging es um eheliche Untreue, sei es vom Mann oder der Frau verübt, bei den Nuba ein schweres, aber oft vorkommendes Vergehen, das andere Mal um das Stehlen von Ziegen, das meist nur von jungen, in der Seribe lebenden Ringkämpfern ausgeübt wurde, um Freunde zu einer Mahlzeit einzuladen. Bei uns war nun folgendes geschehen: Zwei junge Nuba hatten zwei Ziegen gestohlen und die besten Ringkämpfer zu einem Festmahl eingeladen. Das hatte es noch nie gegeben. Meist waren nur zwei, höchstens drei Nuba an einer solchen Mahlzeit beteiligt. Bei dieser so großen Anzahl von «Gästen» konnte das Festessen nicht geheim bleiben. Es wurde dem «Mak», Häuptling der Masakin, gemeldet. Diese uns so harmlos erscheinende Angelegenheit gilt bei den Nuba als schweres Vergehen. Nach ihrem Gesetz wird jedoch nicht nur der Ziegendieb zu mindestens drei Monaten Gefängnis verurteilt, sondern die gleiche Strafe trifft jeden, der nur einen Bissen der Ziege ißt. Und diesmal traf es die gesamte Elite der Ringkämpfer von Tadoro, auch Natu, Tukami und Dia. Wir konnten unsere Aufnahmen in der Seribe nicht mehr
beenden.
Die Gerichtsverhandlung fand jeden Freitag in Rheika, dem Wohnsitz des «Mak», statt. Zusammen mit mehreren Chiefs der anderen Dörfer wurde das Urteil gefällt. Die Verhandlung, die unter großen, schattigen Bäumen stattfand, dauerte mehrere Stunden. Es überraschte mich, daß alle Beteiligten erschienen waren, ohne jede Bewachung und völlig frei. Keiner hatte sich vor der Untersuchung gedrückt. Auch die Verwandten waren gekommen und saßen in einem Kreis um die «Täter», die einzeln aufgerufen wurden.
Die Verhandlung verlief ganz ruhig und hatte eher den Charakter einer Unterhaltung als eines Verhörs. Nur als Tukami sich verteidigte, erhob sich großes Gelächter. Er sei zu diesem Festmahl zu spät gekommen und hätte nur noch ein Stückchen vom Darm erwischt, da alle guten Stücke schon verzehrt waren. Auch habe er nicht gewußt, daß die Ziege gestohlen war. Er machte dabei ein so trauriges Gesicht, daß man Mitleid mit ihm haben mußte. Ich war überzeugt, er würde nicht
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