Memoiren 1945 - 1987
aufgeben wollte. Aber Hanni ließ nicht locker, sie meinte, wir sollten es auf dem Land versuchen.
Am nächsten Tag warteten wir auf der Landstraße Richtung Garmisch auf ein Fahrzeug nach Starnberg. Ein mit Holz beladener Lastwagen nahm uns mit. Tatsächlich hatten wir in Starnberg etwas Glück, in Hotels, aber auch in Lebensmittelgeschäften. Ermutigt trampten wir weiter nach Weilheim und kehrten in einem kleinen Gasthof ein, wo wir unseren Verdienst verzehrten. Inzwischen hatte auch Hanni eingesehen, daß wir uns auf diese Weise kaum ernähren konnten. Wir kamen noch bis Murnau und verkauften auch dort, ziemlich erschöpft, ein paar Flaschen. In einem Laden erkannte mich eine Verkäuferin, fassungslos, mir als einer Hausiererin zu begegnen. Sie bat uns zu warten, bis sie die letzten Kunden bedient hatte und ihren Laden zusperrte. Dann lud sie uns zum Abendessen ein, und als sie erfuhr, daß wir für die Nacht noch keine Unterkunft hatten, bot sie uns ihr Wohnzimmer zum Übernachten an. Fast immer waren es einfache, oftmals arme Leute, von denen Hilfe kam.
Am nächsten Tag beschlossen wir, dieses mühselige Geschäft aufzugeben. Hanni fuhr vorläufig zu ihren Eltern nach Breisach zurück. In Partenkirchen stellte mir ein früherer Mitarbeiter ein kleines Zimmer zur Verfügung.
Befreit von Verhören, Gefängnissen und Verleumdungen, erholte ich mich von Tag zu Tag mehr. Und der Anblick der Berge erweckte in mir die alte Leidenschaft — die Kletterei. Anderl Heckmeier, mit dem ich vor Kriegsausbruch aufregende Touren gemacht hatte, war bereit, wieder mit mir zu klettern. Auf der Oberraintalhütte wollten wir uns treffen. Diese Touren wurden allerdings eine Enttäuschung. Wir hatten beide vergessen, daß ich fast zehn Jahre ohne körperliches Training war. Das Klettern strengte mich zu sehr an, ich mußte immer wieder Pausen einlegen, und wenn wir zur Hütte zurückkehrten, war ich völlig erschöpft.
Das machte verständlicherweise Anderl keinen Spaß, und als ich eines Morgens auf dem Hüttenlager erwachte, war er, ohne sich zu verabschieden, verschwunden. Schade, denn bei der letzten Tour
hatte ich gespürt, daß meine Kräfte wiederkamen und es nur noch eine Frage des Trainings war, wieder fit zu werden. Während ich noch überlegte, ob ich nun auf das Klettern endgültig verzichten müßte, sah ich, wie einige Leute mit einem Fernglas einen Bergsteiger beobachteten, der in einer extrem steilen Wand einen Überhang zu überwinden versuchte. Es war Martin Schließler, damals erst siebzehn und dafür bekannt, daß er allein die waghalsigsten Touren unternahm. Heute ist er ein bekannter Fernsehproduzent, lebt in Canada und macht faszinierende Dokumentar-Filme. Mit Hilfe meiner letzten fünf Mark gelang es mir, ihn als Bergführer zu engagieren.
Schon bei der zweiten Tour hatte ich meine frühere Form fast wieder gefunden, und bald gab es keine Wand mehr, die mir zu schwierig war.
Die Zigeuner-Prozesse
D ieses beglückende Gefühl der Freiheit war nur von kurzer Dauer. Die Münchner Zeitschrift «Revue» brachte am 1. Mai 1949 einen so haarsträubenden Bericht über mich und meinen «Tiefland»-Film, daß ich mich gezwungen sah, den Inhaber dieser Illustrierten, Herrn Kindler, zu verklagen. Wieder mußte ich das Armenrecht in Anspruch nehmen. Dr. Gritschneder war bereit, den Fall zu übernehmen. Am 23. November 1949 fand die Hauptverhandlung gegen Helmut Kindler im Amtsgericht München statt. Die schwerwiegendsten Vorwürfe der «Revue»:
Das Bild einer Zigeunerin war mit folgender Unterschrift versehen: «Spanier aus dem KZ. Geeignete Originalspanier für den Film zu holen, war während des Krieges nicht möglich. Aber Leni Riefenstahl wußte Rat, sie suchte sich Zigeuner in Konzentrationslagern aus.» Unter einem anderen Foto stand: «Filmsklaven. Aus Konzentrationslagern bei Berlin und Salzburg kamen 60 Zigeuner, die das spanische Volk darstellten. Anfangs waren sie begeistert, den Film mit der Munitionsfabrik zu vertauschen ... Wieviele werden das KZ überlebt haben?»
Neben diesen unwahren Behauptungen enthielt der Artikel noch andere törichte Bildtexte. So stand unter einem Bild des Hauptdarstellers: «Ein Bankbeamter aus Wien spielte den Pedro. Er wurde aus zweitausend Mittenwalder Gebirgsjägern ausgewählt, die mehr mals an Leni Riefenstahl vorbeiziehen mußten.» Hierzu die eidesstattliche Erklärung von Franz Eichberger, der den Pedro spielte: «Ich war niemals
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