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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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ihn in meiner Wohnung zu empfangen.
      Was er mir eröffnete, war sensationell. Er sagte: «Ich bin nicht mehr der Anwalt von Herrn Kindler, ich habe mein Mandat nieder gelegt, und», fuhr er fort, «bevor ich Ihnen alles erkläre, muß ich Sie tausendmal um Entschuldigung bitten, was ich Ihnen im Gerichtssaal angetan habe.»
      Schon einmal hatte ich in den zwanziger Jahren eine vergleichbare Situation, wenn auch in einer harmloseren Sache, mit einem namhaften Film-Kritiker erlebt. Dr. Roland Schacht von der «BZ am Mittag» kam mit einem Blumenstrauß zu mir in die Hindenburgstraße und entschuldigte sich für seine wenig freundliche Kritik, die er über mich als Darstellerin in meinem ersten Film «Der heilige Berg» geschrieben hatte. Er erklärte, er habe sich durch Luis Trenker beeinflussen lassen, der mich nur als «dumme Ziege» titulierte, deshalb habe er mich in seiner Kritik «ölige Ziege» genannt, was meinen humorvollen Regisseur Fanck veranlaßt hatte, mich in seinem nächsten Film eine Ziegenhirtin spielen zu lassen. Aber bei Dr. Bayer waren es andere Gründe. Er versicherte, er habe erst im Prozeß die Wahrheit erfahren und war besonders über die Aussage der Zigeunerin Johanna Kurz, die Zeugin der «Revue», empört. Der Vorsitzende hatte sie sofort der Lüge überführt.
      Das Gerichtsurteil konnte jedoch nicht verhindern, daß die «Revue»-Lügen über «Tiefland» und mich weiter verbreitet wurden und werden — bis auf den heutigen Tag. Deshalb möchte ich aus einem Bericht der Familie Josef und Katharina Kramer, Besitzer des Hotels «Zugspitz» in Krün, zitieren, den ich unaufgefordert erhielt. Sie hatten mit den Zigeunern während der Filmarbeit täglich unmittelbar zu tun. Maria Kramer gehörte die Scheune, in der sie untergebracht waren. Sie hatte von mir und meinem Aufnahmeleiter Fichtner Anweisung erhalten, sich um ihr Wohl zu kümmern. Frau Kramer schrieb mir nach der Urteilsverkündung:

    ... Die Zigeuner erhielten die gleiche Verpflegung wie die Hotelgä ste. Die Verpflegung war sehr gut und mehr als reichlich. Die Zigeuner hatten doppelte Fleischmarken. Sie erhielten im Verlauf der Zeit zusätzlich zwei Zentner Butterschmalz. Wiederholt wurden Hammel schwarz geschlachtet ... Weiterhin wurden zwei Kälber zur Verpflegung der Zigeuner zusätzlich zu den Marken geschlach tet und verwendet.
       Die Zigeuner genossen völlige Freiheit. In aller Früh wurde das Radio angedreht. Zum Frühstück gab es Vollmilch, Butter und Mar melade. Eine Bewachung war unumgänglich notwendig, da die Zi geuner eine starke Neigung zu Diebstählen zeigten. Die Einwohner von Krün lehnten aus diesem Grunde auch ab, Zigeuner bei sich aufzunehmen. Mit aller Eindeutigkeit wurde festgestellt, daß eine Bewachung durch SS oder SA niemals erfolgte, sondern ausschließ lich durch zwei Gendarmen, die mit den Zigeunern aus einem La ger in Salzburg gekommen waren. Frau Riefenstahl war bei den Zigeunern, die immer wieder betonten, daß sie es noch nie im Leben so schön gehabt haben, denkbar beliebt. Die Zigeunerkinder waren geradezu begeistert. Im übrigen hatte Frau Riefenstahl ge nau die gleiche Verpflegung wie die Zigeuner. Bei schlechtem Wetter bekamen die Zigeuner sogar heißen Wein.

    Da gewisse Journalisten ihre Angriffe und Schmähungen unvermindert fortsetzten, fing ich an zu zweifeln, ob ich recht getan hatte, den Prozeß geführt zu haben. Dazu Dr. Gritschneder:

    Es war für Ihre spätere berufliche Arbeit unbedingt notwendig, eine restlose Klarheit durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil zu erlan gen, daß keine Häftlinge bei «Tiefland» verwendet wurden. Sie be kämen sonst bei der Böswilligkeit weitester Kreise — vor allem der dominierenden Leute in Film und Presse und öffentlicher Meinung — später die größten Schwierigkeiten. Es ist heute sehr leicht ge sagt, wir hätten den Prozeß nicht führen sollen. Stellen Sie sich bitte die praktischen Auswirkungen vor, wenn Sie diese Verleumdungen — KZ-Sklaven — eingesteckt hätten. Ihre Arbeit wäre in diesem Fall für die nächste Zeit trotz Entnazifizierung unmöglich!

    Wie recht hatte Dr. Gritschneder. Ob ich wollte oder nicht, ich mußte mich immer aufs neue stellen. Die hartnäckig aufrechterhaltene Anklage, ich müßte von den furchtbaren Verbrechen in den Vernichtungslagern gewußt haben, lähmte mich so, daß es mir immer schwerer fiel, dagegen anzugehen. Nie hätte ich mir vorstellen können, daß ich mich, fast vierzig Jahre

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