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Memoiren 1945 - 1987

Memoiren 1945 - 1987

Titel: Memoiren 1945 - 1987 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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unterhalten, jetzt bringe ich Sie nach Haus.»
      Von Müdigkeit übermannt, schlief ich so fest und tief wie seit langem nicht. Am nächsten Morgen wurde ich durch ein Geräusch geweckt. Ich erschrak fürchterlich, als ich hinter dem Moskitonetz ein rabenschwarzes Gesicht sah. «Mam», hörte ich eine Stimme «it’s five o’clock, the tea», dann war die Gestalt verschwunden. Damals wußte ich noch nicht, daß, einer traditionellen Sitte in den englischen Kolonialländern Afrikas entsprechend, um fünf Uhr ein schwarzer Boy, ohne anzuklopfen, ein Kännchen Tee neben das Bett stellt.
      In den nächsten Tagen arbeiteten wir sehr intensiv. Stan konnte nur noch wenige Tage bis zum Beginn seiner neuen Safari in Nairobi bleiben. Das ganze Filmprojekt wurde durchgesprochen, Kalkulationen gemacht und organisatorische Fragen geklärt. Das Wichtigste und Schwierigste war es, die Drehgenehmigung zu erhalten. Sie wurde schneller erteilt, als das je der Fall gewesen war.

      Vor Stans Abschied besprach er noch mit George Six, wie er auch Direktor der «Lawrence-Brown-Safaris», die vorgesehene Motivsuche am Tana River. Diese Flußlandschaft im Norden Kenias hielt er für unseren Film besonders geeignet und, was mein Herz höher schlagen ließ, er sagte, ehe er ging: «Miss Leni, Sie sind unser Gast — für vier Wochen, solange ist George Six frei. Er soll Ihnen in Ostafrika alle Plätze zeigen, die Sie zu sehen wünschen. Es tut mit nur leid, daß ich nicht mitfahren kann.»
      Das war mehr, als ich je zu träumen wagte — wir umarmten uns wie alte Freunde.

    Die Fahrt zum Tana River

    I ch saß neben George Six, der den Wagen steuerte, hinter der Frontscheibe seines Safari-Geländewagens. Ein schwarzer Boy hockte rückwärts auf unserem Gepäck. Da geschah es, 400 Kilometer nördlich von Nairobi: Eine kleine Zwergantilope sprang aus dem Gebüsch über die Straße, Six versuchte, das Tier nicht zu überfahren — der Wagen kam in dem tiefen roten Sand ins Schleudern, wir rasten auf zwei große Brückensteine zu, das linke vordere Wagenrad streifte den Stein, der Wagen wurde in die Höhe geworfen, wir stießen mit den Köpfen durch die Fensterscheibe, und das Auto stürzte, sich mehrmals überschlagend, in die Tiefe. Ich verlor sofort das Bewußtsein, an die letzten Sekunden kann ich mich nicht mehr erinnern, weiß nur noch, daß ich die Vorderräder des Wagens über dem Abgrund sah. Später fühlte ich unter schrecklichen Schmerzen, daß man mich aus dem Wagen zu ziehen versuchte, unsere Körper waren eingeklemmt. Zur Hälfte lagen sie unter dem Auto — Köpfe und Oberkörper waren im Freien. Ich hörte eine Stimme: «Benzin fire», dann verlor ich wieder das Bewußtsein. Dem Boy, der unverletzt blieb, war es gelungen, Mr. Six aus dem Wagen zu ziehen. Obgleich Six selbst schwer verletzt war, zog er gemeinsam mit dem Boy mich auch aus dem Wagen. Inzwischen war der Benzintank leergelaufen. Es bestand Feuergefahr.
      Das Wunder unserer Rettung verdankten wir einem ungewöhnlichen Zufall: Nur einmal im Monat fuhr auf dieser in der Regenzeit gesperrten Straße, für die George Six eine Sondergenehmigung erhalten hatte, ein englischer Distriktoffizier von Somalia nach Nairobi. Eine halbe Stunde nach dem Unfall kam er über die Brücke
und sah uns unten neben dem umgestürzten Wagen im Treibsand des ausgetrockneten Flußbetts liegen. Er brachte uns nach Garissa. Dort gab es damals nur drei Gebäude einer Polizeistation, aber weder einen Arzt noch irgendwelche Medikamente, bis auf eine einzige Morphiumspritze, die Six für meinen Abtransport aufbewahrte.
      Als ich ab und zu aus der Bewußtlosigkeit erwachte, verspürte ich unerträgliche Schmerzen. George Six, im Krieg in London als Hilfssanitäter eingesetzt, nähte mir ohne irgendwelche Desinfektions- und Betäubungsmittel am Kopf die klaffende Wunde, aus der eine große Ader heraushing, mit einer Stopfnadel zu. Ein Martyrium. Six hatte eine Kniescheibe gebrochen. Das Bein hat er sich selbst geschient.
      Nach vier Tagen traf ein durch Polizeifunk herbeigerufenes einmotoriges Sportflugzeug ein. Es konnte zwei Personen aufnehmen. Man wickelte mich in ein Laken und trug mich in die Maschine. Kurz zuvor erhielt ich die Morphiumspritze — eine Gnade. Sie wirkte so schnell, daß mein Bewußtsein völlig ausgelöscht wurde. Später erzählte mir Six, der Pilot habe zu ihm gesagt: «Verwenden Sie nicht meine Zeit und Ihr Geld für den Transport der Dame. Wir werden sie

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