Memoiren 1945 - 1987
ohnehin nicht lebend nach Nairobi bringen.»
Im Hospital in Nairobi
I n Nairobi brachte man mich in ein Hospital, wo ich in dem Raum für Sterbende untergebracht wurde. Der leitende Arzt, Professor Dr. Cohn, ein Engländer, und seine Kollegen hatten mich nach der Untersuchung und dem Befund der Röntgenaufnahmen aufgegeben.
Beim Erwachen war es dunkel um mich — ich konnte nichts erkennen. Die erste Empfindung war ein Gefühl des Glücks, den Unfall überlebt zu haben. Ich konnte mich aber nicht bewegen, noch einen Laut von mir geben. Stunden vergingen, bis eine Gestalt den Raum betrat. Durch die geöffnete Tür drang etwas Licht. Eine Krankenschwester beugte sich über einige Betten, dann fiel ihr Blick auf mich.
Als sie sah, daß ich mich bewegte, stieß sie einen Schrei aus und rannte davon. Ich versuchte, mich aufzurichten und zu rufen, aber ich konnte mich keinen Zentimeter erheben. Diese Anstrengung
machte mich wieder bewußtlos.
Als ich das zweite Mal die Augen aufmachte, befand ich mich in einem hellen, freundlichen Zimmer. Durch die großen Fenster sah ich einen blauen Himmel und weiße Kumuluswolken. Man hatte mir einen Schlauch in den Mund gesteckt und mich so gebettet, daß ich aufrecht saß. Mein Blick fiel auf Mr. Six.
Wenn Gott mein himmlischer Retter war, so ohne Zweifel George Six mein irdischer. Trotz seiner eigenen Verletzungen und Schmerzen war er nicht von meinem Lager gewichen, bis ich endgültig außer Lebensgefahr war. Wie durch ein Wunder war mein Rückgrat unverletzt geblieben, auch das Herz, nur die Lunge war durch mehrere Rippenbrüche im rechten Brustkorb verletzt. Ich ahnte nicht, daß mein Wiedererwachen für die Ärzte eine Sensation war.
Meine Gedanken, die langsam aus der Welt des Vergessens zurückkehrten, kreisten um ein einziges Problem: Wie konnte ich verhindern, daß meine Mutter etwas von dem Unfall erfuhr. Nur mit Mühe konnte ich Mr. Six den Text für ein Telegramm sagen: «Auf Motivsuche leider verunglückt, bin außer Gefahr, liege im European Hospital Nairobi, schreibe bald.»
Nachdem Six gegangen war — er fuhr zu seiner eigenen Ausheilung auf seine Farm in Arusha, wo er von seiner Frau schon sehnsüchtig erwartet wurde —, begann für mich eine Zeit, an die ich mich nur mit Schaudern erinnere. Die englischen Krankenschwestern, denen ich anvertraut wurde, waren anscheinend herzlose Geschöpfe. Sie sahen zwar hübsch aus, aber, wenn man von ihrer Krankentracht absah, eher wie Mannequins, auffällig geschminkt und wie für einen Ballbesuch frisiert. Oft stellten sie mir Essen und Getränke so weit vom Bett entfernt, daß ich sie nicht erreichen konnte. Auch die Glocke war zu weit weg, ich konnte sie nicht fassen. Wenn ich den Schlauch aus dem Mund verlor und nicht läuten konnte, erlitt ich schreckliche Qualen.
Nach ungefähr einer Woche besuchte mich ein deutscher Forstmann, der von meinem Unfall erfahren hatte. Er hieß Luedecke und besaß ein Waffengeschäft in Nairobi. Nachdem er sich meine Klagen angehört hatte, sagte er: «Ich muß Ihnen sagen, daß diese unglaublichen Zustände im Hospital ganz normal sind — hier darf man nicht krank werden.»
Die gebrochenen Rippen verheilten schnell, aber der Arzt erklärte: «Ihre Lunge fällt zusammen — sie ist von den Rippenknochen verletzt worden. Ihr Zustand erlaubt keinen Flug nach Deutsch
land. Wir müssen Ihre Lunge operieren.»
Nun überkam mich zum ersten Mal Angst. Professor Dr. Cohn und sein Stellvertreter waren auf Urlaub. Immer wieder verweigerte ich meine Zustimmung. Mein Zustand verschlechterte sich. Täglich wurde eine lange dicke Nadel durch meinen Rücken in die Lunge gestoßen, um eine Thrombose zu verhindern. Diese jungen, sehr bemühten Ärzte versuchten vergeblich, mich zu einer Operation zu bewegen. In meinem Leben bin ich immer dem Gefühl, nur selten der Vernunft gefolgt. Und vor dieser Operation sträubte sich mein Gefühl.
Bei Dr. Cohns Rückkehr hatte sich inzwischen, für die Ärzte ein Rätsel, die Lunge ohne Operation von selbst wie ein Ballon wieder aufgeblasen. Von nun an machte meine Genesung erstaunliche Fortschritte. Kaum sechs Wochen nach dem Unfall konnte ich schon aufstehen und die ersten Gehversuche machen.
George Six, noch humpelnd und am Stock gehend, kam in mein Krankenzimmer. Meine Freude war unbeschreiblich. Er besuchte mich nun täglich, brachte Früchte und Schokolade. Schließlich machte er mir den Vorschlag, mich
Weitere Kostenlose Bücher