Memoiren 1945 - 1987
Verlagerung hörte. Da sein Kopf immer voller Pläne war, hatte er nichts davon bemerkt. Er versprach mir, so gut als möglich Ersatz zu beschaffen.
Die Arbeit an der «Schwarzen Fracht» ließ mich nicht dazu kommen, mich um das Filmmaterial zu kümmern, und meine anschließende Krankheit hatte mich so geschwächt, daß ich nicht die Kraft besaß, mich mit dieser langwierigen und unerfreulichen Arbeit zu beschäftigen. Auch hatte ich vor der Bestandsaufnahme große Angst. In was für einem Zustand würde ich mein Material vorfinden? Welche Kopien waren beschädigt oder vielleicht auch nicht mehr vorhanden?
Nach meiner Rückkehr aus Spanien mußte ich diese Arbeit aber endgültig vornehmen. Groß war meine Enttäuschung, als ich erfuhr, daß bei «Arri» alle Schneideräume vermietet waren. Nicht ein einziger Tontisch war frei. Ich hatte kein Geld, woanders einen Schneideraum zu mieten, und so blieb mir nichts weiter übrig, als im Flur bei «Arri» an einem Handumrolltisch zu arbeiten. Hunderte von Filmrollen waren durchzusehen, um festzustellen, welche Rollen bei «Arri» nicht vom Regen verdorben waren und ob ich von den Olympiafilmen noch vollständige Kopien zusammenstellen konnte. Das Material, das die Franzosen hatten, war noch in einem relativ guten Zustand. Bis auf den «Triumph des Willens», «Stürme über dem Montblanc» und den Zielke-Film «Das Stahltier» haben sie mir mit Ausnahme der wertvollen Klangfilm-Tonapparatur und den Geldern auf den Bankkonten fast alles zurückgegeben.
Wochenlang habe ich bis in die Nächte hinein an dem kleinen Umrolltisch gearbeitet, bis sich die Augen entzündeten und ich einige Tage aussetzen mußte.
Alle Hilfskräfte bei «Arri» waren voll beschäftigt, meine Hanni hatte, um sich etwas zu verdienen, eine Arbeit angenommen. Jetzt war meine 77Jährige Mutter der einzige Mensch, der mir beim Umrollen des Filmmaterials und dem Beschriften der Rollen helfen konnte. Es waren die armseligsten Bedingungen, unter denen ich jemals gearbeitet habe.
Die Bergfilmkopien waren zum Glück nur wenig verletzt, aber von dem Olympia-Material waren einige Rollen vernichtet. Da es jedoch mehrere Kopien und Dup-Negative gab, konnte ich die Originalversion wieder rekonstruieren.
Aber es gab noch ein anderes Problem. Die Olympiafilme mußten erst einmal «entnazifiziert» werden! Das waren die Aufnahmen, die Hitler als Zuschauer zeigten, deutsche Siegerehrungen und den Olympischen Eid. Diese Szenen fielen der Schere zum Opfer:
86 Meter = drei Minuten Laufzeit. Beim zweiten Teil des Films waren nur wenige Meter herauszuschneiden.
Die in der deutschen Presse immer wieder heruntergebetete Behauptung, mein Olympiafilm sei ein nazistischer Propagandafilm, ist unrichtig. Noch heute ist die Öffentlichkeit wenig über die Bestimmungen des Internationalen Olympischen Komitees informiert. Deshalb möchte ich aus einem Brief des für die Durchführung der Olympischen Spiele 1936 verantwortlichen Generalsekretärs, Herrn Professor Dr. Carl Diem, zitieren, den er im Jahre 1958 an die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Wiesbaden schrieb:
«Die Internationalen Olympischen Spiele sind eine Einrichtung des Internatio
nalen Olympischen Komitees, das die Veranstaltung an eine dafür geeignete Stadt
übergibt, nicht etwa an deren Regierung. Diese hat zu versichern, daß keine
Gesetze die ordnungsgemäße Durchführung der Olympischen Spiele verhindern.
Die Olympischen Spiele 1936 sind im Jahre 1931 an Deutschland übertragen
worden. Nach der Machtübernahme hat die deutsche Regierung dem IOC aus
drücklich zugesagt, daß alle Rassen an Olympischen Spielen unbehindert teilneh
men können. Diese Zusagen wurden gehalten. Ich nenne die Gebrüder Ball im
Eishockey und die Fechterin Helene Meyer, welche die Silbermedaille errungen
hat. Ich darf hinzufügen, daß diesen nichtarischen Teilnehmern an der Olympi
schen Mannschaft auch später der Start in Deutschland nicht verwehrt wurde. Auch
der nichtarische Präsident des deutschen Organisations-Komitees, Herr Dr. Lewald,
hat bis zum Zusammenbruch des Regimes keinerlei Angriffe erhalten. Daß die
Olympischen Spiele in Berlin ohne Verletzung der Olympischen Neutralität
durchgeführt worden sind, beweist der im Juni 1939 in London gefaßte Beschluß
des IOC, die Olympischen Winterspiele des Jahres 1940 wieder in Garmisch
durchzuführen. Dieser Beschluß wurde ohne deutsches Zutun gefaßt. Er erfolgte
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