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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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gratulierten sie mir. Ich freute mich sehr. Diese Erfolge bestärkten mich in der guten Meinung, die ich von mir hatte, sie sicherten meine Zukunft; ich legte ihnen große Bedeutung bei und hätte um nichts auf der Welt darauf verzichten mögen. Trotz allem vergaß ich nicht, dass sich hinter jedem Erfolg auch ein Verzicht verbirgt, und war affektiert genug, in Schluchzen auszubrechen. Zornig wiederholte ich mir ein Wort, das Roger Martin du Gard Jacques Thibault in den Mund legt: ‹Dahin haben sie mich gebracht!› Man drängte mich in die Rolle einer begabten Studentin, einer Glanznummer, mich, die ich die pathetische Abwesenheit des Absoluten war! Meine Tränen waren sicher etwas unaufrichtig; dennoch glaube ich nicht, dass sie nur Komödie gewesen sind. Im Trubel des zu Ende gehenden – wohlausgefüllten – Jahres spürte ich mit Bitterkeit die Leere in meinem Herzen. Auch weiterhin wünschte ich leidenschaftlich etwas anderes, das ich nicht zu definieren wusste, da ich den einzig passenden Namen ‹Glück› ihm nicht zu geben gewillt war.
     
    Jean Pradelle, ärgerlich darüber, wie er lachend behauptete, dass er von zwei Mädchen überrundet worden war, wollte mich kennenlernen. Er ließ sich durch einen Kameraden vorstellen, der wiederum mich mit Blanchette Weiß bekannt gemacht hatte. Er war etwas jünger als ich und seit einem Jahr als Externer Zögling der École Normale. Auch er hatte das Benehmen eines jungen Mannes aus guter Familie, aber gar nichts Steifes, ein offenes, recht hübsches Gesicht, eine unmittelbare und heitere Art, sich zu geben; er war mir sofort sympathisch. Ich begegnete ihm vierzehn Tage darauf in der Rue d’Ulm, als ich mich gerade nach den Ergebnissen des Aufnahmewettbewerbs erkundigen wollte: Ich hatte Kameraden, darunter Riesmann, die sich gemeldet hatten. Er führte mich in den Garten des Internats. Für eine Sorbonne-Studentin war das ein märchenhafter Ort, und während wir uns unterhielten, sah ich mir diese Weihestätte aufmerksam an. Am nächsten Vormittag traf ich Pradelle dort wieder. Wir hörten ein paar mündliche Prüfungen mit an; dann ging ich mit ihm im Luxembourggarten spazieren. Wir hatten Ferien; alle meine Freunde und auch fast alle die seinen hatten Paris verlassen; wir nahmen die Gewohnheit an, uns jeden Tag zu Füßen einer Königin aus Stein zu treffen. Ich war immer gewissenhaft pünktlich bei meinen Verabredungen: Ich hatte solchen Spaß daran, ihn atemlos und Verwirrung heuchelnd heraneilen zu sehen, dass ich ihm für seine Verspätung beinahe dankbar war.
    Pradelle hörte gut, mit nachdenklicher Miene, zu und gab ernsthaft Antwort: Welche Wohltat war das! Ich beeilte mich, mein Seelenleben vor ihm auszubreiten. Ich sprach aggressiv von den ‹Barbaren›, zu meiner Überraschung aber stimmte er mir nicht einfach zu; er selbst war vaterlos, verstand sich ausgezeichnet mit Mutter und Schwester und teilte mein Grauen vor den ‹eng umgrenzten Heimen› nicht. Er hatte auch keinen Abscheu vor gesellschaftlichen Unternehmungen und tanzte gelegentlich. «Warum nicht?», fragte er mich mit einer entwaffnend unbefangenen Miene. Ich in meinem Manichäismus sah nur eine winzige Elite, ihr gegenüber jedoch eine ungeheure Masse, die des Daseins unwürdig war; seiner Meinung nach aber gab es in jedem Menschen etwas Gutes und etwas Schlechtes, er sah keine so sehr großen Unterschiede zwischen den Menschen. Er tadelte meine Strenge, während seine Nachsicht auf mich verstimmend wirkte. Davon abgesehen aber gab es viel Gemeinsames zwischen uns. Wie ich war er fromm erzogen worden, wenn auch jetzt glaubenslos; aber die christliche Moral hatte ihn für sein Leben gezeichnet. In der École Normale rangierte er unter den ‹talas›. Er missbilligte die groben Manieren seiner Kameraden, die obszönen Lieder, die zweideutigen Scherze, die Brutalität, das Bummeln, die Ausschweifungen des Herzens und der Sinne. Er liebte ungefähr die gleichen Bücher wie ich, wobei er eine besondere Vorliebe für Claudel bekundete, neben einer gewissen Verachtung für Proust, den er nicht ‹wesentlich› fand. Er lieh mir
Ubu-Roi
, ein Buch, das ich nur mit Einschränkung schätzte, weil ich darin auch nicht im Entferntesten die Dinge wiederfand, von denen ich persönlich besessen war. Was mir vor allem wichtig schien, war, dass auch er angstvoll die Wahrheit suchte; er glaubte, die Philosophie werde sie ihm eines Tages entdecken. Darüber diskutierten wir vierzehn Tage lang mit

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