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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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als ich meine … Ich kann nicht ertragen, dass Ihre Sympathie sich auf einen so engen Kreis beschränkt. Wie kann man leben, ohne alle Menschen mit einem Netz der Liebe zu umspannen? Aber Sie sind so ungeduldig, wenn es um diese Dinge geht.› Herzlicher schloss er dann: ‹Trotz Ihrer Hitzigkeit, die mir unbewusst scheint und mir so konträr ist, hege ich für Sie ein sehr großes und auf keine Weise erklärliches freundschaftliches Gefühl.› Von neuem predigte er mir an diesem Nachmittag Mitleid mit den Menschen; Zaza unterstützte ihn diskret, denn sie befolgte die Lehre des Evangeliums: ‹Richtet nicht.› Ich dachte, dass man nicht lieben könne, ohne auch zu hassen: Ich liebte Zaza, ihre Mutter hingegen hasste ich. Pradelle trennte sich von uns, ohne dass wir beide auch nur einen Schritt breit von unserem Standpunkt abgewichen wären. Ich blieb mit Zaza zusammen, bis es Zeit zum Abendessen war; zum ersten Male, sagte sie mir, habe sie sich nicht als Dritte zwischen mir und Pradelle gefühlt, sie war darüber tief gerührt. «Ich glaube nicht, dass es noch einen so ausgezeichneten jungen Menschen gibt wie Pradelle», setzte sie mit Feuer hinzu.
    Sie erwarteten mich lebhaft plaudernd im Hof der Sorbonne, als ich am übernächsten Tage von der letzten schriftlichen Prüfung kam. Welche Erleichterung bedeutete es, damit fertig zu sein! Mein Vater führte mich am Abend in die ‹Lune Rousse›, darauf aßen wir Spiegeleier bei Lipp. Ich schlief bis mittags um zwölf. Nach dem Essen ging ich zu Zaza in die Rue de Berri. Sie trug ein neues Kleid aus blauem Voile mit schwarz-weißem Muster und einen großen weichen Strohhut: Wie war sie aufgeblüht seit dem Sommerbeginn! Als wir die Champs-Élysées hinuntergingen, äußerte auch sie ihr Erstaunen über die Erneuerung, die, wie sie selber fühlte, mit ihr vorgegangen war. Zwei Jahre früher, als sie mit André gebrochen hatte, war sie des Glaubens gewesen, dass sie von nun an nur noch irgendwie sich selbst überleben werde, jetzt aber verspürte sie in sich ein solches Gefühl von ruhiger Freudigkeit wie in den besten ihrer Kindheitstage; sie fand wieder Geschmack an Büchern, an Ideen, an ihren eigenen Gedanken. Besonders aber sah sie der Zukunft mit einem Vertrauen entgegen, das sie sich selbst nicht zu erklären vermochte.
    Als wir am gleichen Tage gegen Mitternacht aus dem ‹Cinéma des Agriculteurs› kamen, sagte mir Pradelle, wie sehr hoch er meine Freundin schätze; sie spreche immer nur von dem, was sie wirklich wisse oder aufrichtig fühlte, und deshalb schweige sie so oft: Keines ihrer Worte aber sei zu stark gewählt. Er bewundere sie auch, weil sie trotz der schwierigen Verhältnisse, in denen sie sich befinde, sich immer gleich bleibe. Er bat, ich möge sie doch wieder zu einem gemeinsamen Spaziergang mit uns einladen. Mir hüpfte das Herz im Leib vor Freude, während ich mich nach Hause begab. Ich erinnerte mich jetzt, wie aufmerksam Pradelle mir zugehört hatte, wenn ich von Zaza berichtete, sie aber hatte ihn oft in ihren Briefen mit sichtlicher Sympathie erwähnt. Sie waren eins fürs andere gemacht, und sie liebten einander. Einer meiner innigsten Wünsche erfüllte sich: Zaza würde glücklich leben!
    Am nächsten Morgen sagte mir meine Mutter, während ich in den ‹Agriculteurs› gewesen sei, habe Herbaud dem Haus einen Besuch abgestattet; ich war umso betrübter, als er mit mir beim Verlassen des Prüfungsraumes – er war mit seiner Arbeit recht unzufrieden – keine Verabredung getroffen hatte. Ich schluckte jedoch meine Enttäuschung hinunter und wollte gerade das Haus verlassen, um mir ein Cremetörtchen zu kaufen, als ich ihn unten an der Treppe traf; er lud mich zum Mittagessen ein. Meine Einkäufe waren sehr rasch erledigt. Um nicht von unseren Gewohnheiten abzugehen, begaben wir uns in die ‹Fleur de Lys›. Er war von dem Empfang bei meinen Eltern entzückt gewesen: Mein Vater hatte ihm antimilitaristische Reden gehalten und Herbaud ihm kräftig zugestimmt. Er musste sehr lachen, als er begriff, dass er sich hatte düpieren lassen. Am nächsten Tage brach er auf, um seine Frau in Bagnoles-de-l’Orne zu treffen; nach seiner Rückkehr in zehn Tagen wollte er sich mit Sartre und Nizan, die mich herzlich bitten ließen, mich ebenfalls anzuschließen, aufs Mündliche vorbereiten. Inzwischen wollte Sartre gern meine Bekanntschaft machen; er schlug mir eine Begegnung am folgenden Abend vor, aber Herbaud bat mich, nicht darauf

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